Glück muß man haben
warteten, daß das Ganze ein Irrtum sei und ihre Tochter gleich darauf wieder zurückkommen müßte. Erst nach einer Weile stieß Theodor hervor: »Das lasse ich nicht zu!«
»Was läßt du nicht zu?« fragte Sabine.
»Ein solches Benehmen.«
Sabine war eine Frau, welche die Dinge oft erstaunlich realistisch sah.
»Das Benehmen«, sagte sie, »ist hier Nebensache. Hauptsache ist der Kerl, den sie im Kopf hat.«
»Den treibe ich ihr aus, darauf kannst du dich verlassen.«
Sabine äußerte Zweifel, indem sie sagte: »Ich weiß nicht, Theo, ich habe das Gefühl, daß das nicht so einfach sein dürfte.«
»Das wirst du schon sehen.«
»Was willst du denn machen, wenn sich das wiederholt?«
»Wenn sich was wiederholt?«
»Daß sie einfach aufsteht und das Zimmer verläßt.«
Eine solche Perspektive ließ den autoritären Theodor aus der Haut fahren.
»Ich gebe ihr ein paar hinter die Löffel!« kündigte er an.
»Ach was«, widersprach Sabine. »Vergiß nicht, sie ist erwachsen. Weißt du, was du damit wahrscheinlich erzielen würdest?«
»Daß sie spurt!«
»Nein, daß sie aus dem Haus geht und wir sie so bald nicht wiedersehen. Das passiert doch heutzutage an allen Ecken und Enden.«
Theodor steckte etwas zurück. In gemäßigterem Ton antwortete er: »Wohin wollte sie denn?«
»Zu ihm. Die leben ja heute alle zusammen.«
»Komm, der haust doch todsicher selbst noch im Lager.«
»Dann woanders hin. Das Schlimmste wäre natürlich eine Kommune.«
Dieser Schreck fuhr Theodor durch alle Glieder.
»Eine Kommune?! Bist du verrückt? Doch nicht unsere Marianne!«
»Wenn sie keinen anderen Weg sieht …«
»In Gelsenkirchen gibt's doch noch gar keine Kommune.«
»Aber rundherum: in Dortmund, in Essen, in Bochum –«
»Überall wo diese Studenten leben«, unterbrach Theodor aufgebracht.
»Nicht nur da«, mußte er sich belehren lassen. »Liest du denn nur die Lotto- und Totogewinne? Auch in Castrop-Rauxel haben sie schon eine.«
Alles, was Theodor dazu nur noch sagen konnte, war: »Armes Deutschland!«
Dann verstummte er eine Weile und machte sich Gedanken darüber, wie das nicht nur mit seiner Tochter, sondern mit der ganzen Nation weitergehen sollte. Er kam zu keinem positiven Ergebnis. Anders Sabine. Ihre Überlegungen waren weniger weitläufig.
»Du mußt woanders anhebeln«, sagte sie.
»Wo?«
»Nicht bei ihr«, fuhr sie fort. »Bei ihm.«
»Und du glaubst, daß das Zweck hat?«
»Du mußt eben ein deutliches Wort mit ihm reden. Wer er ist? Was er sich einbildet? Ob er denn seine Situation nicht sieht – und die unserer Tochter? Was mit seinem Charakter ist? Wenn er einen hat, werden deine Vorhaltungen dazu führen, daß er sich von ihr zurückzieht, verstehst du? Damit wäre das Problem gelöst.«
»Aber wenn nun eigentlich gar kein Problem besteht? Wenn Marianne mit dem gar nichts Besonderes im Sinn hat? Wenn wir beide diesbezüglich sozusagen nur Gespenster sehen? Was dann? Dann machen wir uns lächerlich, Bina.«
Doch Sabine Berger war sich ihrer Sache sicher, sie schüttelte den Kopf.
»Nee, nee, Theo, das tun wir nicht. Die ist in den verknallt, vielleicht sogar mehr, als sie sich das selbst schon eingesteht. Als Mutter spüre ich das untrüglich. Deshalb ist die Situation wirklich gefährlich, Theo, du kannst dich auf mich verlassen.«
»Also gut«, sagte er entschlossen, »dann werde ich mich der Sache annehmen. Ich meine ja auch, daß du recht hast.«
Sabine glaubte noch eine gute Idee zu haben.
»Vielleicht sollten wir sie ein paar Wochen zu deiner Schwester nach Mainz schicken.«
»Könntest du sie solange entbehren?«
»Wenn's sein müßte, ja.«
»Aber gleich ein paar Wochen lang wird denen zuviel sein. Vor allem meinem Herrn Schwager, du kennst ihn ja. Der will seine Ruhe haben.«
»Dann nur vierzehn Tage. Anschließend könnten wir sie ja noch meiner Mutter aufhalsen, wenn die auch schon fast zu alt ist zu so etwas.«
»Wir wissen nicht, ob die überhaupt dazu noch in der Lage wäre.«
»Doch, ich habe mit ihr vorgestern telefoniert.«
»Das hast du mir ja noch gar nicht gesagt.«
»Weil es dich normalerweise gar nicht interessiert.«
»Wie geht's ihr denn?«
»Momentan recht gut. Sie hat sogar mit der Idee gespielt, uns zu besuchen.«
»So?« stieß er kurz hervor.
»Aber keine Angst, Theo, ich konnte sie davon abbringen. Vielleicht fährt sie nun zu Ilse nach Hagen, sagte sie.«
Ilse in Hagen war Sabines jüngere Schwester, die dort verheiratet
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