Glück muß man haben
alles ereignet hatte – wenn sich etwas ereignet hatte.
Theo Berger war der nächste, dem er sich zuwandte.
»Und wie geht's dir? Alles in Ordnung?«
»Nee«, brummte Theo.
»Nicht? Jemand krank?«
»Nein, aber man könnte diesen Eindruck haben.«
»Wieso denn?«
»Meine Olle spricht nur noch vom Krebs, seit die Frau vom Pit Schmitz – du weißt, mein Kölner Freund – nach ihrer Operation aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Und was mit meiner Tochter los ist, weiß ich auch nicht.«
»Mit Marianne?«
»Ja, die schleicht nur noch wie ein Gespenst durchs Haus«, übertrieb Theo. »Manchmal spricht sie tagelang keine zehn Worte.«
»Wo gibt's denn so was?«
Theo beugte sich über die Theke und raunte Jaworowski ins Ohr: »Weißt du, was ich mir schon einige Male gedacht habe?«
»Was?«
»Die sieht aus, als ob sie ins Kloster gehen wolle.«
Jaworowski schnitt eine Grimasse.
»Ach was! Lächerlich! Nicht die Marianne, Theo!«
»Doch, doch, Karl. Genau so sieht die aus.«
»Seit wann denn?«
Theo zuckte die Achseln und log: »Das weiß ich nicht. Sieh mal, mit solchen Dingen ist es doch so, daß man zuerst überhaupt nicht auf sie achtet. Und dann kommt irgendwann mal der Moment, an dem sie einem auffallen – aber weiß der Teufel, wie lange sie da schon im Gange sind. Verstehst du, was ich meine?«
»Sicher, Theo. Aber da müßte doch in letzter Zeit mal was Außergewöhnliches passiert sein.«
»Im Leben Mariannes?«
»Ja.«
»Das weiß ich eben nicht«, log Theodor Berger wieder. »Ich –«
Der Kellner Heinrich zwängte sich mit einem Tablett leerer Gläser zwischen die beiden, so daß sich Theodor seinen angestammten Pflichten zuzuwenden hatte. Jaworowski trank rasch sein eigenes Glas auch leer und stellte es zu den anderen auf das Tablett. Dann sah er, daß Szykowiak zu einem Tisch junger Leute ging, die ein Transistorgerät auf dem Tisch stehen hatten. Sie hielten die Köpfe zu dem Gerät hingebeugt. Das ließ darauf schließen, daß die Sportübertragung begonnen hatte. Szykowiak stellte sich eine halbe Minute dazu und kam dann an die Theke zurück. Aus seiner Miene war weder Positives noch Negatives zu schließen.
»Und?« fragte Jaworowski ihn, auch im Namen der anderen.
»Null zu null«, lautete die zu erwartende Antwort. »Das läuft ja noch nicht lange.«
Die Rede war natürlich von dem Spiel der Schalker in Braunschweig. Alle anderen Begegnungen fanden zwar auch Interesse, aber erst in zweiter Linie.
Von nun an riß die Verbindung zwischen der Theke und dem Tisch der jungen Männer mit dem Transistorgerät nicht mehr ab. Szykowiak, Jaworowski, Schuhmacher und Maslowski lösten einander dabei ab, diesen Kontakt aufrechtzuerhalten. Immer wieder ging einer der vier hin zu jenem Tisch und kam mit dem jeweils aktuellen Stand der Spiele in den Stadien der Bundesliga an die Theke zurück.
In Braunschweig fiel bis zuletzt kein Tor. Das löste bei den meisten in der ›Sonnenblume‹ wieder einmal Enttäuschung aus, hatte doch jeder mit einem Sieg Schalkes gerechnet. Dabei war, objektiv gesehen, das Unentschieden schon ein Erfolg der Mannschaft.
»Ich sehe«, sagte Karl Jaworowski, »meinen Totoschein darf ich jetzt schon wieder wegschmeißen. Und ihr?«
Den anderen erging es genauso. Nur einer konnte das von sich noch nicht sagen – Theodor Berger. Das lag aber lediglich daran, daß er im Moment überhaupt keine Zeit hatte, auf seinem Schein nachzugucken. An der Theke lief minutenlang ein ausgesprochenes Stoßgeschäft, und dann, als es wieder leichter wurde, war Theos Schein – auch von Theo selbst – in Vergessenheit geraten. Erst zwei Tage später, am Montag morgen, erinnerte sich Theo wieder an ihn und stellte anhand der Zeitung am Frühstückstisch fest, daß er alle Spiele richtig getippt hatte, ihm also ein erster Rang zugefallen war.
Großer Gott! dachte Theo und zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Noch saß er allein am Tisch. Wie üblich, verspäteten sich Frau und Tochter.
Theo führte eine zweite Prüfung durch. Noch einmal verglich er sorgfältigst seinen Totoschein mit den entsprechenden Angaben in der Zeitung. Es stimmte – er hatte einen ersten Rang.
Und die Gewinnsumme für ihn, die auch schon in der Zeitung stand, betrug DM 189.972,–.
Großer Gott! dachte Theo abermals. Kann sich das noch einmal ändern? Als Irrtum herausstellen? Hat's das schon mal gegeben, daß sich die Zeitungen korrigieren mußten? Nein, bis jetzt noch nicht!
Nun war er sicher:
Weitere Kostenlose Bücher