Glück muß man haben
denn erwartet? Diese Frage richtete Theo an sie.
»Wieviel dachtest du denn?«
»Wesentlich mehr.«
»Wieso?«
»In letzter Zeit hast du uns doch schon ein paarmal von einer Million vorgelesen.«
Theo war sehr enttäuscht. Er empfand Mariannes mangelnde Begeisterung irgendwie als ›Undankbarkeit‹, als Undankbarkeit ihm gegenüber, der immerhin eine Summe von fast zweihunderttausend Mark für die Familie gewonnen hatte.
»Hör mal«, beschwerte er sich, »du tust ja gerade so, als ob zweihunderttausend Mark gar nichts wären. Vielleicht sollte ich mich auch noch entschuldigen dafür, daß es nicht mehr sind.«
»Nein, mußt du nicht, Vater.«
»Vielen Dank«, sagte Theo ironisch. »Du müßtest dich im Spiegel sehen. Es ist dir ins Gesicht geschrieben, was du von diesem Geld hältst.«
»Ach was!« stieß Marianne hervor. Diese Diskussion war ihr zuwider. Alles war ihr zuwider, schon längst.
»Du pfeifst auf die ganze Summe«, sagte Theo, obwohl er selbst nicht glaubte, daß dies wahr sein könnte. Um so überraschter war er daher – und fiel er aus allen Wolken –, als Marianne prompt antwortete: »Sagen wir, der Betrag ist mir gleichgültig.«
Das verschlug Theo die Sprache. An seiner Stelle rief jedoch Sabine: »Aber Kind, du bist verrückt! Egal, was mit dem Geld vorläufig geschieht und wie wir es anlegen, am Ende hinterlassen wir es doch dir. Das zählt alles zu deiner Mitgift.«
»Zu meiner Mitgift?«
»Ja, natürlich.«
Marianne schüttelte den Kopf.
»Ich brauche keine Mitgift, Mutter.«
»Rede keinen solchen Blödsinn, jedes Mädchen braucht eine Mitgift.«
Dazu wäre zu sagen gewesen, daß es auf Gottes weiter Erde schon unzählige Mädchen ohne jede Mitgift gegeben hat und immer wieder geben wird. So weit dachte aber Sabine Berger in diesem Moment ihrer Aufregung nicht.
»Ich nicht«, antwortete Marianne knapp.
Was das hieß, war klar.
»Warum nicht?« fragte Sabine trotzdem.
Marianne schwieg. Dann schossen ihr plötzlich Tränen in die Augen, sie sprang auf und lief aus dem Zimmer. Ihre Kaffeetasse blieb voll bis an den Rand stehen; Marianne hatte sie überhaupt nicht angerührt.
Sabine und Theo Berger wußten, daß sie ihre Tochter nun wieder einen halben Tag lang – oder noch länger – nicht mehr sehen würden, es sei denn, sie hätten keine Scheu davor gehabt, mit Gewalt in ihr Zimmer einzudringen.
Nach längerem bedrückendem Schweigen sagte Sabine zu ihrem Mann: »Vielleicht war das, was du mit dem Thürnagel gemacht hast, doch ein Fehler.«
»Nein!« erklärte Theo hart.
»Manchmal glaube ich das.«
»Die muß da durch, Sabine!«
Wenn Theodor auf ›Sabine‹ verfiel, war er nur noch mit Vorsicht zu genießen. Deshalb verzichtete nun seine Frau Gemahlin darauf, die Debatte noch fortzusetzen.
Zwei oder drei Monate später, an einem Mittwoch oder Donnerstag, wurde Marianne von ihrem Vater ans Telefon gerufen.
»Für dich«, sagte er, ihr den Hörer entgegenhaltend.
»Wer ist es denn?« fragte sie leise.
Theo zuckte die Achseln, antwortete ebenso leise: »Ein Doktor Sowieso. Den Namen habe ich nicht verstanden.«
»Ja?« meldete sich Marianne.
Ein sonores Organ sagte: »Doktor Bernin. – Spreche ich mit Fräulein Marianne Berger?«
»Ja.«
»Guten Tag. Ich bin Anwalt …«
Da die Stimme eine Pause machte, womit sie wahrscheinlich Wirkung erzielen wollte, sagte Marianne wieder: »Ja?«
»Vielleicht kommt Ihnen mein Anruf nicht überraschend?«
»Doch.«
»Ich vertrete Herrn Thürnagel … Wilhelm Thürnagel …«
Die Stimme gönnte sich erneut eine Pause, und da auch Marianne nichts sagte, bestand das ganze Telefongespräch ein Weilchen nur noch aus Schweigen. Marianne hatte damit zu tun, sich zu fassen. Wilhelms Name verursachte in ihrem Inneren einen enormen Aufruhr.
»Sie wissen ja, daß gegen Herrn Thürnagel eine Anzeige läuft«, machte sich der Anwalt schließlich wieder bemerkbar.
»Ja«, sagte Marianne mit trockenem Mund.
»Die Gerichtsverhandlung findet in der kommenden Woche statt.«
»Eine Gerichtsverhandlung?« stieß Marianne erschrocken hervor. »Ich dachte, das sei längst erledigt.«
»Wie denn? Durch Einstellung des Verfahrens?« erwiderte Dr. Bernin. »Leider nicht. Dazu ist der Tatbestand, der Herrn Thürnagel zur Last gelegt wird, zu schwerwiegend.«
Marianne schwieg.
Der Anwalt räusperte sich.
»Ich will nicht lange drum herumreden, Fräulein Berger«, sagte er dann. »Die Geschichte ist die, daß es nicht gut aussieht für
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