Glücklich gestrandet
sie hat mir nicht einmal erlaubt, die Hochzeitsgeschenke zurückzuschicken! Sie war so wütend, dass sie mich einfach nur aus den Augen haben und sich um alles selbst kümmern wollte.«
»Wenn Karen hier gewesen wäre, hättest du zu ihr gehen können«, meinte Jo, »aber da sie es nicht ist, hattest du vollkommen recht, stattdessen zu mir zu kommen.«
»Ganz bestimmt.« Dora nippte abermals an ihrem Wein. Irgendwie fühlte sie sich schon besser, einfach weil sie hier bei Jo war.
»Wir laufen im Grunde beide weg«, bemerkte Jo nachdenklich. »Ich vor den Trümmern einer Ehe und du vor einer Hochzeit.«
»War es schlimm, als dein Mann dich verlassen hat? Entschuldigung!«, bat Dora. »Das klingt so dumm. Natürlich war es das! Ich denke nur darüber nach, wie John sich gefühlt haben muss.«
»Er kann sich unmöglich genauso gefühlt haben wie ich«, antwortete Jo. »Ich meine, er ist noch keine dreißig und hat sein ganzes Leben noch vor sich. Er wird bestimmt jemand anderen finden. Ich bin fünfzig, und niemand wird mich noch wollen.«
»Oh, das ist bestimmt nicht wahr …«
Jo lachte. »Es ist schon in Ordnung! Ich möchte auch keinen anderen, nicht jetzt. Jahre und Jahre meines Lebens habe ich meinem Mann und meinem Kind gewidmet – und habe ich dafür auch nur einen Orden für langjährige Verdienste bekommen? Nein, habe ich nicht. Ich bin wegen einer jüngeren Frau sitzengelassen worden. Was für ein Klischee! Er hätte wenigstens den Anstand besitzen können, mich aus einem weniger demütigenden Grund zu verlassen. Aber nein.« Sie runzelte die Stirn. »Er hatte den Nerv zu sagen: ›Wenn du sie kennenlernst, wirst du mich verstehen. Sie ist einfach genauso wie du, als du jung warst.‹«
Dora verdaute diese Bemerkung langsam. »O mein Gott!«
»Es war so, als hätte er mich aufgebraucht und würde jetzt eine neue Version meiner selbst benötigen.«
»Ich hätte ihn ermordet!« Dora war geziemend entrüstet.
»Ich hätte es auch getan, wenn ich damals eine Waffe zur Hand gehabt hätte, aber glücklicherweise ist der Moment verstrichen.« Jo kicherte. »Obwohl ich immer noch fuchsteufelswild bin, wenn ich darüber nachdenke, habe ich doch eine Menge Spaß gehabt, seit ich auf das Boot gezogen bin. Es war wunderbar, von Neuem anfangen zu können.«
»Karen dachte, du würdest in dem Haus bleiben wollen, wo all deine Freunde waren.«
»Das Problem ist, dass ich keine Rolle mehr habe. Philip wollte das Haus, und die Perle – so nennen Karen und ich sie – schien mit dem Gedanken recht glücklich zu sein.«
»Das überrascht mich nicht! Es ist ein hübsches Haus. Ich habe so viele glückliche Erinnerungen an meine Besuche dort.« Dora dachte an ihre frühen Experimente mit Make-up und verrückten Frisuren und an die kleinen Theaterstücke, die Karen und sie aufgeführt hatten. »Erinnerst du dich an die Seifenoper, die wir mit der Videokamera aufgenommen haben?«
»Pitrevie Drive? Natürlich! Die Bänder liegen noch oben auf dem Dachboden. Ihr zwei wart hysterisch.«
»Es hat Spaß gemacht. Ich vermisse Karen sehr.«
»Ich auch, aber ich rufe mir immer wieder ins Gedächtnis, dass sie nicht für immer fort ist, nur für einige Jahre.«
»Ich wette, sie wollte nach Hause kommen, als dein Mann dich verlassen hat!«
»Natürlich. Ich musste ihr allerdings androhen, nie wieder mit ihr zu sprechen, wenn sie es täte. Ich konnte nicht zulassen, dass nicht nur mein Leben verpfuscht wurde, sondern auch ihre Karriere.«
»Du bist sehr stark. Ich bin davon überzeugt, dass meine Mum zerbrochen wäre.«
Jo nippte an ihrem Wein. »Ich hatte meine Momente, doch jetzt bin ich eine starke, unabhängige Frau, die nicht die Absicht hat, jemals wieder eine wie auch immer geartete Beziehung einzugehen.« Sie sah Dora an. »Das soll auf keinen Fall auch für dich gelten! Aber du wirst schnell herausfinden, dass es auch andere Dinge im Leben gibt, als einen Freund zu haben.«
Dora lachte gequält. »Oh, das weiß ich. Ich hatte ja so viele Jahre einen! Es gibt sehr viele andere Dinge.«
Jo kicherte und nahm sich einige Chips.
»Warum hättest du denn nicht in dem Haus bleiben können? Die Leute wären schon damit klargekommen und nett zu dir gewesen, nicht wahr?« Dora dachte an das hübsche georgianische Haus mit dem Garten, den Jo so schön gestaltet hatte. Der Umzug auf das Kanalboot musste sich wie ein Abstieg angefühlt haben – oder zumindest wie ein Kleinersetzen.
Jo beruhigte sie. »O ja, alle waren
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