Glücklich gestrandet
sehr hilfsbereit, als ich noch dort war. Sie haben mich ständig zu Mittagessen im Freundinnenkreis eingeladen und für mich nach ledigen Männern Ausschau gehalten, aber ich konnte das Mitleid nicht ertragen. Als ich hierher zog, wusste niemand irgendetwas über mein früheres Leben, und ich hatte das Gefühl, dass ich anfangen konnte, jemand anderer zu sein.« Sie runzelte die Stirn. »Eigentlich nicht jemand anderer, sondern die Person, die ich die ganze Zeit über war, während ich vorgab, eine gute Frau zu sein, die Basare organisierte und in Ausschüssen saß.«
»Hat dir all das denn nicht gefallen?« Doras Mutter liebte nichts mehr, als mit einem Glas Wasser und einem Klemmbrett am Kopfende eines Tisches voller Leute zu sitzen.
»Manches schon«, räumte Jo ein. »Ein Großteil davon war jedoch ziemlich langweilig.« Sie seufzte. »Jetzt sitze ich in keinem einzigen Ausschuss. Es ist die reinste Wonne!« Dann biss sie sich auf die Unterlippe. »Nur dass ich morgen helfen muss, die Tische für das Galadinner zu dekorieren. Ich habe noch nicht ganz den Bogen raus, wie ich mich vor freiwilliger Mitarbeit drücken kann.«
»Und wir müssen das Boot für diese Parade aufräumen?«
»Ja.«
»Ich bin ziemlich gut im Aufräumen. Meine Mutter hat mich dazu gezwungen, ein ordentlicher Mensch zu werden.«
»Huh! Dann hatte sie mehr Glück als meine Mutter! Sie hat auch versucht, mich zur Ordnungsliebe zu erziehen, doch sie hat es nicht geschafft. Deshalb habe ich Karen auch nie gedrängt, ihr Zimmer aufzuräumen.«
Dora sah sie ungläubig an. »Was, nie?«
»Hm, nein, denn ich habe niemals erlebt, dass ihr Zimmer schlimmer aussah als meins.« Sie seufzte abermals. »Ich denke, das könnte einer der Gründe sein, warum Philip mich verlassen hat, obwohl er es nie ausgesprochen hat.«
»Soll ich dir helfen? Du würdest das nicht als Einmischung ansehen?«
Jo legte ihr eine Hand aufs Knie und lachte. »Wenn man eine Tochter hat wie ich, kommt niemand auch nur ansatzweise an die Sparte ›Einmischen‹ heran. Außerdem bin ich dankbar für jede Hilfe, die ich bekommen kann.«
Dora liebte Karen fast so sehr, wie Jo sie liebte, war aber, was die erste Bemerkung betraf, vollkommen ihrer Meinung. »Sollen wir Musik auflegen? Ich habe eine CD, die mir immer Energie gibt. Sie ist natürlich alt. Es ist eine von Dads CDs, aber ich liebe sie.«
Jo stand lachend auf. »Mir soll’s recht sein. Der CD-Player ist da drüben.«
Die Rockmusik brachte Jo tatsächlich in die richtige Stimmung zum Aufräumen. Natürlich hatte sie das eigentlich vor Doras Ankunft erledigen wollen, doch nachdem sie mit dem Bad und Doras Schlafzimmer fertig gewesen war, war keine Zeit mehr für den Salon und die Küche geblieben.
Dora hatte bereits den Staubsauger an sich gerissen und widmete sich dem Boden. Jo versuchte, den Tisch aufzuräumen, eine weitaus weniger befriedigende Aufgabe, da sie Entscheidungen verlangte. Und Jo hasste es, Entscheidungen zu treffen! Eher unbewusst schob sie die Hand in ihre Tasche und fand ein Band. Es hatte sich von einem Stoß Geschirrtüchern gelöst, die sie Dora zu Ehren gekauft hatte. Jo schob einen Stapel Papiere und Zeitschriften zusammen und verschnürte sie mit dem Band. Dann legte sie den Stapel neben die Obstschale und dachte nach. Nicht gerade ein künstlerisches Statement, aber es sah doch so aus, als müssten die Papiere dort liegen.
Das Alleinsein hatte es ihr ermöglicht, noch unordentlicher zu werden. Verheiratet mit einem ordentlichen Mann, war sie früher gezwungen gewesen, in langweilig regelmäßigen Abständen zu putzen und aufzuräumen. Jetzt, da sie frei war, hatte sie die Dinge ziemlich schleifen lassen. Jo füllte die Spülmaschine mit ihrer gewohnten Blitzgeschwindigkeit. Die Rockmusik weckte in ihr das Verlangen zu tanzen, und sie ließ tatsächlich ein wenig die Hüften kreisen, während sie die Theke in der Küche abwischte. Aber wenn sie sich wirklich hätte gehen lassen, hätte Dora vielleicht befürchtet, jetzt mit einer Irren zusammenzuleben. Und schlimmer noch, sie könnte Karen berichten, dass ihre Mutter endgültig den Verstand verloren hatte.
Sie putzte mit einem Lappen, den sie mit Bleichmittel befeuchtet hatte, die Fassungen der Luken und deren Umgebung, wo sich gern Kondenswasser und später Schimmel sammelte. Es war nicht ihr Boot, sie hatte es nur gemietet, doch es war ihr Zuhause. Als Michael, ein alter Studienfreund von Philip, ihr das Boot angeboten hatte, hatte sie
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