Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
abzulenken, würde ich wohl wieder eine schlaflose Nacht verbringen.
    Ich machte Licht an und versuchte zu lesen. Einsame Menschen lesen viel, dachte ich. Mit dem neuesten Krimi von Minnette Walters war ich nicht weit gekommen. Kaum hatte ich dreißig Seiten gelesen, ging das Licht mit einem leisen Knall aus. Wahrscheinlich hatte mein neuer Heizstrahler einen Kurzschluss verursacht. Da die letzten Holzscheite im Kamin verglüht waren, saß ich völlig im Dunkeln.
    Ich überlegte, die ziemlich heruntergebrannten Kerzen auf dem Messingständer anzuzünden, entschied mich dann aber für die Taschenlampe, die mir Mario mitgegeben hatte, als ich bei ihm in der Orangerie war.
    Ich wusste, dass ich mit Walpurga und Albert allein im Schloss war – außer, wenn Dr. Braunsperger auch hier übernachten würde. Aber ich hatte bereits vor einer halben Stunde die schwere Eichentür ins Schloss fallen gehört.
    Da ich nicht schon wieder eine ängstigende Situation heraufbeschwören wollte, schaltete ich nicht nur die Taschenlampe ein, sondern zündete mit meinem Feuerzeug auch die Kerzenstummel am Leuchter an. Mein Nachttisch war nun perfekt ausgeleuchtet.
    Irgendetwas fehlte. Das Nachtkästchen sah so nackt aus. Das Handy befand sich in meiner Handtasche, die Zigaretten ebenfalls. Das Foto meiner Mutter? Scheiße! Wo war das Foto? Es lag nicht mehr auf dem Nachtkästchen.
    Ich nahm die Taschenlampe, ging auf die Knie und schaute unters Bett. Kein Foto. Ich suchte die ganze Umgebung des Bettes ab. Das Bild blieb verschwunden.
    Ich hatte einen Verdacht. Rasch schlüpfte ich in meine Hose, zog einen warmen Pullover über und verließ mein Zimmer. Heute würde einmal ich Poltergeist spielen. Die Taschenlampe nahm ich mit, schaltete sie aber aus, bevor ich die Tür öffnete.
    Kaum hatte ich ein paar Schritte Richtung Walpurgas Arbeitszimmer zurückgelegt, hörte ich Schritte. Langsame, schlurfende Schritte. Sie kamen näher, immer näher, den düsteren Gang entlang auf mich zu. Ich wagte es nicht, die Taschenlampe anzumachen.
    Plötzlich streifte ein kalter Hauch mein Gesicht. Zugluft oder menschlicher Atem? Ich erstarrte, bildete mir ein, eine kleine, mit dunkler Kapuzenjacke bekleidete Gestalt vor mir zu sehen. Stand da jemand und richtete eine Waffe auf mich?
    Nichts geschah. Ich horchte. Alles war still. Oder doch nicht? Ein Lufthauch? Ausgelöst durch meine eigene Bewegung?
    Statt loszuschreien, schaltete ich die Taschenlampe ein.
    Minka, die alte, schwarze Hauskatze, fauchte mich böse an. Ich musste mich schwer beherrschen, um nicht laut zu lachen. In diesem Schloss sah ich wohl andauernd Gespenster. Dieses Gespenst war allerdings viel kleiner als Albert oder Mario und viel dünner als Walpurga.
    Doch dann fiel mir ein, dass eine Katze, die sich auf ihren vier Pfoten fast lautlos fortbewegen kann, keine Geräusche verursacht wie ein Mensch, der sich leise anschleicht. Und wie konnte ich ihren Atem in meinem Gesicht spüren?
    Bevor ich wieder in Panik geriet, lief ich mit eingeschalteter Taschenlampe hinauf in den ersten Stock. Ich würde Walpurga wecken. Auch wenn sie mich für verrückt halten sollte, ich hatte einfach Angst in diesem alten Gemäuer. Und ich wollte endlich einen Schlüssel für mein Zimmer.
    Plötzlich hörte ich Musik. Gustav Mahlers zehnte und letzte Symphonie, die seinen Abschied von der Welt und zugleich eine Art Aufbruch in die Moderne signalisierte. Die Symphonie, deren Fertigstellung seine Frau Alma vereitelt und die er ihr gewidmet hatte, obwohl sie längst mit Gropius im Bett lag.
    Die romantischen Töne kamen von oben, aus dem zweiten Stock. Aus Alberts Gemächern. Woher sonst? Es gab keine musizierenden Gespenster in diesem Schloss.
    Ich war nahe daran, mich in mein Zimmer zu begeben, den Stuhl unter die Türklinke zu schieben und mich ins Bett zu legen. Walpurgas Angst, ihr aufgelöster Zustand am Abend fiel mir ein. Und das alles wegen Albert? Musste ich mir ernsthaft Sorgen um ihn machen? Seit wir den Kopf vom Heinz gefunden hatten, redete er wirres Zeug daher.
    Während ich überlegte, ob ich einfach zu Bett gehen oder nach ihm schauen sollte, wurde die Musik noch lauter, sie schwoll zu einem beeindruckenden Crescendo an.
    Ich riss mich zusammen, ging in den zweiten Stock hinauf und klopfte an seine Tür.
    Keine Reaktion. Ich wurde nervös. Wenn er sich etwas angetan hatte, vielleicht gar im Sterben lag, würde ich mir ewig vorwerfen, nicht nach ihm gesehen zu haben. Albert hatte als

Weitere Kostenlose Bücher