Gluecklich, wer vergisst
Jan? Sie ist eine unförmige, unattraktive alte Frau, und trotzdem flippt mein schöner Herr Papa bei ihrem Anblick buchstäblich aus.“
„Bist du etwa gar eifersüchtig?“, fragte er.
„Grins nicht so blöd. Ich meine es ernst.“ Unwillig richtete ich mich auf und zündete mir trotzig eine von seinen Zigaretten an. Ich hatte in den letzten Tagen so viel geraucht, dass mir die Brust weh tat. Nach einigen Zügen dämpfte ich sie wieder aus.
Jan umarmte mich zögernd und fragte: „Bist du sehr müde?“
„Ja, ich will endlich schlafen.“
„Wunderbar“, sagte er grinsend und streichelte mein Gesicht und meine Haare.
Ich hatte es noch nie leiden können, wenn mir Männer den Kopf tätschelten. Ich kam mir dabei immer vor wie ein verblödeter kleiner Hund.
Jans Lippen näherten sich meinem Mund.
„Ich habe gesagt, ich möchte schlafen“, zischte ich ihn an.
Er legte sich auf mich, presste seine Lippen auf meine.
Ich boxte ihn in die Rippen. „Lass mich in Frieden.“
Jan setzte sich auf und schaute mich mit diesem forschenden Kripo-Blick an, den ich nicht leiden konnte.
„Was ist los?“, fragte er.
„Nichts.“
„Okay. Lass mich mal rekapitulieren, was du mir erzählt hast. Dieser Philip hatte anscheinend eine Vorliebe für junge Mädchen. Hat er es auch bei dir versucht?“
„Was meinst du?“
„Na, dich zu verführen.“
„Sehr vornehm ausgedrückt. Nein, hat er nicht.“
„Aber du glaubst, dass er Franzi vergewaltigt hat?“
„Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll“, sagte ich unwirsch. „Ich hatte den Eindruck, dass sie Theater spielte, als ich sie im Knast besuchte. Vielleicht, weil ich ähnliche Vorstellungen meines Vaters dutzende Male erlebt habe? Das schauspielerische Talent hat sie eindeutig von ihm geerbt. Ich bin echt froh, eher nach meiner vernünftigen Mutter geraten zu sein.“
Jan legte den Arm um meine Schulter, sah mich liebvoll an und flüsterte: „Ich auch.“
„Hier ist es so stickig. Mir ist heiß“, sagte ich und zog meinen warmen Fleece-Sweater aus. Jan verstand mich wieder falsch. Er versuchte sofort den Reißverschluss meiner schwarzen Jeans zu öffnen.
„Lass das“, fuhr ich ihn an.
„Ich wollte … nur helfen“, stotterte er.
„Danke, das kann ich selbst.“ Doch anstatt mich auszuziehen, schlüpfte ich wieder in meinen Sweater, zog die schwarzen Stiefeletten an und sprang auf.
„Ich schlafe heute Nacht besser in meinem eigenen Bett“, sagte ich und verließ das Zimmer.
Kaum hatte ich den beleuchteten Hoteleingang ein paar Meter hinter mir gelassen, umfing mich kalte Dunkelheit. Ein eisiger Wind kam auf. Ich ging schneller.
Der Regen erwischte mich kurz vor der Abbiegung zum Schloss. Ich verfluchte meine Sturheit. Wie gern hätte ich mich jetzt unter der dicken Daunendecke in Serners Arme gekuschelt. Aber ich hatte ja wieder einmal meinen Kopf durchsetzen müssen.
Er hätte mich heimfahren oder wenigstens zu Fuß begleiten können, dachte ich wütend. Fluchend kämpfte ich mich weiter durch Regen, Wind und Finsternis.
Wahrscheinlich hatte er geglaubt, ich würde nur drohen und gleich wieder reumütig zu ihm ins Bett zurückkehren. Aber ich war noch nie einem Mann nachgelaufen. Auch damals, als ich endlich kapiert hatte, dass Albert in meine Mutter verliebt war und mich nur als kümmerlichen Ersatz für sie betrachtete, hatte ich das Interesse an ihm verloren.
Hinter mir leuchteten Scheinwerfer auf. Ich drehte mich um, starrte entsetzt in das gespenstische bläuliche Weiß. Instinktiv entschied ich mich für den schlammigen Straßengraben. Ich hatte zu viele negative Erfahrungen mit betrunkenen Autofahrern am Attersee hinter mir. Außerdem musste ich unwillkürlich an den Geländewagen denken, der mich schon einmal verfolgt hatte.
Plötzlich wurde das Licht schwächer. Der Fahrer hatte zumindest abgeblendet, war also nicht total besoffen. Das Geräusch des Motors kam näher. Ich drehte mich um. Der Wagen hielt neben mir. Die Tür auf der Beifahrerseite öffnete sich.
„Steig ein“, sagte Jan.
Durchnässt und frierend, hatte ich keine Lust, auf stur zu spielen. Im Gegenteil, ich war heilfroh, dass er endlich gekommen war.
Jan fuhr ein paar Meter bergan, hielt in einer Ausweichkurve und bot mir eine Zigarette an. Wir saßen schweigend im Auto und rauchten. Der Rauch nebelte uns ein. Wegen des heftigen Regens konnten wir kein Fenster öffnen. Er ließ den Motor laufen und das Standlicht an. Dicke Tropfen knallten auf die
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