Glückliche Ehe
wütend auf den Tod war, glaubte Enrique. Max war wütend, weil alle Bemühungen, die Krankheit aufzuhalten, fehlgeschlagen waren, und noch wütender, weil seine Mutter nur zu interessieren schien, auf welches College er gehen würde und welchen Job er in dem Sommer haben würde, in dem sie starb.
Enrique versuchte Max davor zu bewahren, dass seine Mutter bis zuletzt das Leben ihres »Kleinen« kontrollierte. »Ich will nicht, dass er herumsitzt, wenn ich tot bin, und nur Trübsal bläst und zu viel trinkt«, erklärte sie. Als sie Enriques tadelnden Blick bemerkte, beschwor sie ihn atemlos: »Ich muss hinter ihm her sein, Puff. Alles kann ich loslassen, aber ich muss auf meine Jungen aufpassen.« Damit war sein Versuch, Max zu schützen, bereits gescheitert. Während ihrer gesamten Ehe hatte Margaret diese Art emotionalen Imperativ ins Feld geführt. Enrique hatte ihr Irrationalität vorgeworfen, mit verbalen Trotzschwertern geklirrt und manchmal geschimpft und gepoltert oder auch gejammert und gefleht. Vergebens. Keine Taktik ging auf. Ein-, zweimal in neunundzwanzig Jahren hatte sie nachgegeben, indem sie sagte: »Ich kann eben nicht anders«, aber in dieser Sache konnte er wohl kaum mit einem Sieg rechnen. Ebenso hilflos machte es ihn, dass Max sich weigerte, sich auf einletztes Zusammensein mit seiner Mutter festzulegen. Und er fürchtete die Folgen. Enrique hatte Verständnis dafür, dass Max’ Gefühle durcheinander waren, aber vielleicht würde der Junge es sein Leben lang bereuen.
Und wann würde Enrique zu seinem Abschied kommen? Sie hatte nur noch einen Tag auf Steroiden. Den würde Greg bekommen, und dann würden weitere Freundinnen noch einen Tag in Anspruch nehmen, und hoffentlich würde auch Max noch Zeit wollen. Er hatte Angst, dass sich ihr Zustand schneller verschlechtern würde als vorhergesagt und er um seine kostbare Zeit mit ihr gebracht würde. Er musste den anderen den Vortritt lassen, weil er der Gastgeber dieser makabren Party war und Margaret ihn gebeten hatte, ihr zu helfen. Okay. Aber sie hatten sich noch so viel zu sagen. Würde die Zeit reichen?
Rob, Margarets brillanter, hochangesehener großer Bruder, kam von seiner Audienz herab und schritt zielstrebig durchs Wohnzimmer, um sich neben Enrique zu setzen, der sich auf der Couch sein Koffein verabreichte. »Margaret und ich haben geredet«, sagte er freundlich und mit einem amüsierten Lächeln. »Sie hat mich gebeten, ihr unsere Eltern vom Hals zu halten. Ich werde sie dazu bringen, ein paar Tage nicht zu kommen. Es tut ihnen sowieso nicht gut. Sie sollten bei ihren Freunden sein. Die können sie trösten.«
»Bist du sicher?«, sagte Enrique im Gedanken an Leonards versöhnlerischen Freund.
Rob war sich sicher. »Ja. Janice und ich werden bei ihnen in Great Neck bleiben. Wir werden sie beschäftigen. Dann habt ihr, Margaret, du und die Jungen, Zeit miteinander.«
Enrique sagte, so herzlich er konnte: »Danke.«
Rob nickte. »Ich habe Margaret versprochen, dass wir beide in Kontakt bleiben. Natürlich weiß ich, dass dein Leben weitergehen wird, das soll es ja, das ist uns allen klar, und wir wollen es auch. Aber wenn du irgendwie Hilfe brauchst,mit Max oder Gregory, habe ich ihr gesagt, bin ich für dich da. Sie will, dass du mich anrufst, wenn etwas ist. Das wirst du doch?«
Einen Moment war Enrique verwirrt. Er war noch nicht mal Witwer, aber ihm war sofort klar, dass mit seinem Leben, das »weitergehen« würde, gemeint war: dass er sich in eine andere Frau verlieben würde. Er ging ja selbst davon aus, dass er irgendwann wieder mit einer Frau zusammenleben oder vielleicht sogar heiraten würde, da er nun mal sowohl Frauen als auch Beziehungen mochte. Trotzdem kam es ihm bizarr vor – ähnlich wie jenes Gesetz der Schwerkraft, nach dem alle Gegenstände, unabhängig von ihrem Gewicht, gleich schnell fallen. Das stimmte nachweislich, schien aber dennoch unmöglich. Aber es gab keinen Zweifel, worauf Rob hinauswollte. Enrique hatte lange genug über diese Frage nachgedacht und war zu dem Entschluss gekommen, dass er um seiner Söhne willen mindestens vier Jahre verstreichen lassen würde, ehe er sie mit einer neuen Frau an der Seite ihres Vaters, und sei sie auch noch so harmlos, konfrontieren würde. Max’ vier Collegejahre schienen eine angemessene Frist. Er wollte Rob gerade von seinem Gedankengang erzählen, als ihm aufging, dass solche Erörterungen Margarets großem Bruder gegenüber absurd und geschmacklos wären.
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