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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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waren sie beide, so erregt sie sein mochten, seltsam gefasst.
    Danach tranken sie, wie es sich für Touristen gehört, auf der Piazza San Marco einen Espresso, warteten mit Dutzenden anderer Paare, dass die Glocke des Uhrenturms erklang, und spazierten durch die engen, alten, behaglichen Gassen zu dem Restaurant, wo Rick, Enriques Agent in Los Angeles, alles für die Feier ihres Hochzeitstages arrangiert hatte. Margaret hatte Enrique gewarnt, dass Venedig für das schlechte Essen bekannt sei. Schließlich hatte Rick erklärt, er kenne in Venedig den Koch und Besitzer eines wunderbaren Restaurants und werde für sie ein besonderes Essen organisieren.
    Als sie davorstanden, wirkte das angeblich so großartige Restaurant auf Enrique ziemlich bescheiden. Es war kaum mehr als ein Ladenraum – zehn kleine Tische und nicht mal ein Rollo, um die Gäste vor neugierigen Blicken zu schützen. Der nackte Holzboden und die weiß gestrichenen Wände waren genau nach Margarets Geschmack, gerade weil alles so ungezwungen wirkte und so gut zu der engen, kopfsteingepflasterte Gasse passte, in die sie gelangt waren, indem sie den Wegmarkierungen des Portiers auf dem kleinen Hotelstadtplan folgten. Das Restaurant war voll besetzt, und draußen standen Leute Schlange, weshalb Enrique nicht mehr nur skeptisch war, sondern auch um ihre reservierten Plätze bangte.
    Er hätte sich nicht zu sorgen brauchen. Sie durften direkt am einzig freien Tisch Platz nehmen, in der ruhigsten Eckedes lebhaften Lokals. Der rundgesichtige, rotwangige Koch kam, gab Enrique die Hand und Margaret einen Handkuss und erklärte in holprigem Englisch, sie bräuchten nicht zu bestellen, alles sei bereits geregelt. Enrique fragte den Wirt, ob er auch den Wein für sie aussuchen könne, und der Mann nickte, als sei alles andere ohnehin abwegig.
    Sie unterhielten sich während des Essens, und es schien, als würden die Speisen und der Wein in ihrem Rhythmus auf- und abgetragen werden. Zudem hatte der enge Raum so gar nichts Förmliches, weshalb sie den Eindruck hatten, als wären sie im Haus eines Freundes zu Gast. Hier fühlte man sich nicht wie in einem Restaurant. Und auch weil sie die einzigen englisch sprechenden Gäste waren, hatte der Abend etwas Intimes und gleichzeitig Familiäres, ein magisches und eigentlich unmögliches Nebeneinander von Gefühlen.
    Die Serviererin, die Frau des Wirts, strahlte sie zwischen den einzelnen Gängen an und schaffte es schließlich, auch Enrique davon zu überzeugen, dass ein Paar mittleren Alters in romantischer Stimmung kein lächerlicher Anblick war. Auf dem Heimweg hielten sie Händchen und schwangen wie Kinder die Arme, bis auf der Piazza San Marco ein leichter Wind Margaret frösteln ließ. Enrique zog sie an sich, sie gingen engumschlungen über den Platz, lauschten dem fernen Johlen und Singen junger Leute, der Kammermusik, die aus einem Fenster drang, dem Wind, der durch die engen Seitengassen raunte, und dem über die Kaimauer schwappenden Wasser. Es war Acqua alta , Hochwasser. Ein erhöhter Plankensteg führte über die Pflastersteine bis zum Danieli, und ihre Schritte klapperten, als wären sie zu Pferd.
    Im Hotel war ein Fax für Enrique angekommen. Rick leitete die Anfrage eines Filmstudios an ihn weiter – man plane die Neuadaptation eines Buches, das in Enriques Kindheit Comicheftchen geheißen hatte, jetzt aber, kurz vor derJahrtausendwende, als so genannte Graphic Novel vermarktet wurde. Margaret runzelte nicht die Stirn, wie sie es sonst immer tat, wenn das Filmgeschäft wieder mal keine Grenzen kannte. Es war das Jahr 1997, und Enrique hatte noch kein Handy, das auch in Europa funktionierte: Hätte er eins gehabt, hätte Rick sie bei ihrem Hochzeitstagsessen gestört. Natürlich, Enrique war ein erwachsener Mann und hätte den Anruf ignorieren oder in diesem Fall das Fax in den Papierkorb werfen können, aber sie wussten beide, dass er dem Schreiben verfallen war, und die Adaptation eines Comics für einen Film, mochte der nun jemals gedreht werden oder nicht, war genau das Suchtmittel, das er brauchte.
    »Entschuldige«, sagte er, als er das Fax und den messingenen Zimmerschlüssel von dem höflichen Mann an der Rezeption entgegennahm.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Margaret großmütig. »Das Essen war wunderbar. Rick hat etwas gut bei mir.«
    Er öffnete das Fax, während sie die mit Teppich belegte, vergoldete Treppe erklommen, um unter gotischen Bögen hinauf in den dritten Stock, fast bis unters

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