Glückliche Ehe
Person«, sagte er und meinte diese narzisstische Bemerkung nur halb scherzhaft. »Wenn du mir nicht erzählst, was in deinen Besprechungen passiert, erfahre ich nichts mehr von meinem Berufsleben.« Und obwohl Enrique stolz auf seinen langen Roman war, verdeutlichtedas Buch auch sein definitives Scheitern. Wenn ein so ehrgeiziges Buch es nicht schaffte, den Verfasser als zentrale Stimme seiner Generation zu etablieren, bewies es endgültig die Grenzen seines Talents, vor allem ihm selbst.
Er fragte sich, wie er sein restliches Leben leben und woher er noch Inspiration, Begeisterung und Zuversicht nehmen sollte. Er konnte natürlich alle Hoffnung in seine Kinder setzen und sie damit wahrscheinlich kaputtmachen, denn – so viel hatte er aus eigener Erfahrung gelernt: Man kann nur enttäuscht werden, wenn man seine Kinder mit dem eigenen Ehrgeiz überfordert. Vielleicht gab er ja seinem Vater die Schuld an seinen Defiziten. Schließlich hatte Freud erklärt, wer der unbestrittene Liebling seiner Mutter sei, verliere nie jenes Eroberergefühl, das den Erfolg geradezu herbeizwinge. Offenbar hatte sich Enrique vom falschen Elternteil ermutigen lassen.
Eigentlich hätte er sich wegen der Buchmesse keine Sorgen zu machen brauchen. Sein deutscher Verleger hatte ihn einfach nur aus Nettigkeit einfliegen lassen, damit er ein bisschen Presse für die deutsche Ausgabe machte, man erwartete sich nicht viel von seinem Roman. Leider führte der Ausflug dazu, dass Enrique die Enttäuschung der amerikanischen Veröffentlichung noch einmal durchlebte, wie ein zerrütteter Kriegsveteran von den Flashbacks seiner traumatischsten Erlebnisse überfallen, und dass er nun die fehlende Ermunterung durch seinen Vater körperlich und seelisch spürte, vor allem wenn er zu schlafen versuchte. Schlimmer noch: Die unterschwellige Hoffnung, die Enrique gehegt hatte – dass Deutschland sein Buch vielleicht anders aufnehmen würde –, zerschlug sich durch eine prominente abfällige Rezension am Tag seiner Ankunft. Drei Tage saß er zwischen den Trümmern, leierte nichtssagende Interviews für kleine Publikationen herunter und wartete auf Margaret, mit der er in Venedig ihren zwanzigsten Hochzeitstag feiern wollte.
Am Morgen des Hochzeitstages selbst, des 15. Oktober, kamen sie in Venedig an. Er rechnete nicht damit, ihr eine besonders nette oder amüsante Gesellschaft zu sein, und glaubte schon gar nicht, dass ihm das Ganze Spaß machen würde. Aber da täuschte er sich.
Sie machten ein Nickerchen, nachdem sie ihre geräumige Suite mit den hohen Decken bezogen hatten, ein pompöses, idiotisch elegantes Wohnzimmer, in dem Sofa und Ohrensessel vergoldet und in Unmengen von rostbraunem Samt gehüllt waren, und ein ruhiges Schlafzimmer mit grauem Teppichboden, einem riesigen Bleiglasspiegel über einem schlichten Kamin und einer berühmten romantischen Ansicht des Golfs von Venedig. Beim Aufwachen verblüffte ihn Margaret, als sie dafür sorgte, dass aus dem anfänglichen Kuscheln leidenschaftlicher Sex wurde. Vor Jahren hatten sie sich darüber ausgesprochen, dass sein ständiger sexueller Tatendrang ihr Widerstreben nur verstärkte. Er wusste, es war unklug, den ersten Schritt zu machen, wenn sie vielleicht selbst auf die Idee kommen würde, zum Beispiel an ihrem Hochzeitstag. Er hatte angenommen, sie würde bis nach dem Abendessen warten, da der Mittagsschlaf sie immer übellaunig und benebelt machte, bis sie Kaffee getrunken hatte und eine Stunde allein gewesen war. Dass sie sich nun beim Aufwachen schon über ihn hermachte, empfand er als großes Glück.
Sie schliefen nicht so miteinander wie sonst. Sie war lasziv, rekelte und streckte sich wie eine Katze, wo ihre Bewegungen für gewöhnlich knapper und sportlicher waren und sie sich eher gegen die Lust zu wehren schien. Ihr Körper war geschmeidig in seinen Händen, bis zu ihrem Höhepunkt, der sich diesmal nicht langsam ankündigte, sondern heftig und ohne Vorwarnung kam. Sie packte Enrique, als wollte sie ihn dort festhalten, wo er war, grub ihre Fingernägel in seinen Rücken, biss ihn, kurz bevor sie kam, in die Schulterund fand trotzdem in der Ekstase noch Zeit, ihren Mann schief anzulächeln und, als gingen sie nur spazieren, »Ich glaube, ich bin hungrig« zu sagen, statt während des ganzen Akts ernst und stumm zu bleiben. Und auch bei ihm war es anders. Er entlud sich nicht spasmodisch, wie sonst, eher war es so, als hätte jemand einen Wasserhahn aufgedreht. In ihrem Danieli-Bett
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