Glückliche Ehe
wie möglich zu sterben, sich für ihn anfühlen könnte, als ließe sie ihn grausam im Stich. Er trat ans Bett und nahm ihre Hand. »Für mich ist es okay«, flüsterte er. »Wir werden Zeit miteinander haben, und du wirst keine Schmerzen haben. Das ist gut.« Er konnte nicht weitersprechen, weil ihm die Tränen kamen. Er wusste, vor dieser Ärztin mussten sie beide ruhig und gelassen bleiben. Margaret wollte in Würde aus dem Leben gehen, zu Hause in ihrem Ehebett. Er war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass ihr dieser Wunsch erfüllt wurde.
Während Enrique den Kalender studierte, um einen Zeitpunkt zu finden, der in den offenbar dichtgedrängten Terminplan des großen Bernard Weinstein passte, wusste er fast auf den Tag genau, wie viel Zeit noch blieb. Sieben Tage mit Steroiden und kompletter intravenöser Flüssigkeitszufuhrfür die Verabschiedungen, sieben weitere bis zum Tod. Vierzehn Tage Margaret.
Sieben dieser Tage und Nächte würden an andere gehen und ihm nicht für sein letztes Gespräch mit Margaret zur Verfügung stehen. Lily würde natürlich bis zum Ende jeden Tag ein paar Stunden kommen. Und Margarets Eltern hatten zu seiner Bestürzung angekündigt, dass sie sie ebenfalls an jedem der letzten vierzehn Tage besuchen wollten. Sie würden dazu täglich aus Great Neck herüberfahren, wo sie immer noch die Hälfte des Jahres lebten, während sie die andere Hälfte, für Juden ihrer Generation obligatorisch, in Boca Raton in Florida verbrachten. Gestern waren sie acht Stunden da gewesen, aber Enrique glaubte nicht, dass sie das durchhalten würden. Er hatte Leonards gebeugte Schultern bemerkt und Dorothys Nervosität, während sie in Habtachtstellung auf der Stuhlkante gesessen hatte und alle paar Sekunden aufgesprungen war, um nach irgendetwas zu schauen, irgendeinen Gegenstand geradezurücken oder Max sicher zehnmal zu fragen, ob er etwas essen wolle. Es wäre für sie zu anstrengend, sich jeden Tag um diese Tapferkeit zu bemühen – sie weinten nicht, jammerten nicht und ließen nicht einmal zu, dass ihre Kleider knitterten. Sonst hatte Margaret ihre Eltern nur selten gesehen, zu Thanksgiving und Passah und vielleicht noch zwei weiteren festlichen Anlässen, alles in allem keine Woche pro Jahr. Enrique war ziemlich zuversichtlich, dass Margaret in den letzten zwei, drei Tagen vor dem Koma hauptsächlich ihm gehören würde. Dann konnte er neben ihr im Bett liegen, und sie könnten sich erinnern. Endlich würden sie ihre Ruhe haben, ohne den ganzen Wirbel, die ständigen Blumen und Untersuchungen, das Auf und Ab des Fiebers und der Hoffnung, ohne den klangvollen Jargon der Medizin und die Unruhe des Lebens, die von außen hereindrang. Sie würden auf ihre Ehe zurückblicken und gemeinsam erkennen, was sie gelebt hatten.
»Enrique?«, schnarrte Gertie in sein Ohr, nachdem sie zwischendurch eine höhere Autorität in Sachen Terminkalender Bernard Weinstein konsultiert hatte. Das Geräusch tat weh. Er drückte die Taste an der Seite seines Handys, um die Lautstärke zu reduzieren. Was dazu führte, dass im Organizer-Programm die Displayansicht von der zweiten Juniwoche zur ersten Juliwoche sprang. Er drückte hektisch auf den Tasten herum, während Gerties barsche Stimme mit dem Brooklyner Akzent, schmerzhaft laut eingestellt, verkündete: »Ich habe Marie gefragt –«
»Marie?«, unterbrach sie Enrique.
»Bernards Assistentin. Normalerweise macht sie seine Termine. Ich bin in so was nicht gut. Tut mir leid, Dienstag kann Bernard nicht. Da hat er irgendeine Premierensache, aber wir sind in New York, ginge es also Mittwochabend? Vielleicht auf einen Drink? Ha! «, schrie sie plötzlich ohne Vorwarnung oder ersichtlichen Grund. Enrique musste den Ohrhörer des Headsets herausziehen, so vehement, dass seine Halbschwester Rebecca, die gerade mit einem Erdbeer-Fruchteis zu Margaret hinaufging, auf der Treppe stehenblieb. Dieser unproblematische Snack erinnerte Enrique an eine andere Sorge. Theoretisch konnte Margaret alles essen, weil alles durch die PEG aus ihrem Magen abgeleitet wurde, aber größere Mengen Nahrung konnten dazu führen, dass der Schlauch verstopfte, was auch schon passiert war. Enrique war sich nicht sicher, wie sie mit dem morgigen Festmahl fertigwerden würde, einem letzten Brunch mit ihren Eltern, Brüdern und Schwägerinnen, der auf Margarets Wunsch vom Second Avenue Deli kommen würde. »Ich werde die Würstchen gründlich kauen«, hatte sie Enrique versichert. »Und die
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