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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Knishes? Die sind sowieso weich. Dr. Browns Schwarzkirschenlimonade wird schon alles durchschwemmen«, hatte sie ihn mit einem schiefen Lächeln beruhigen wollen.
    Nachdem er den Ohrhörer heruntergerissen hatte,schüttelte Enrique den Kopf, um Rebecca zu bedeuten, dass kein Grund zur Sorge bestand, und drückte die Lautsprechertaste des Handys. Gerties Stimme schallte immer noch recht laut durch den Raum. »Ha! Was rede ich da! Drink. Du musst uns ja alle für völlig verrückt halten. Du Ärmster«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte ein wenig. Enrique war überrascht, wo er Gertie doch kaum kannte und sie Enrique zu Recht verdächtigte, den Erfolg ihres Mannes für unverdient zu halten. »Wie wär’s um halb sechs oder sechs?«
    »Nein, tut mir leid«, sagte Enrique in bedauerndem Ton. »Mittwoch gehören der ganze Tag und der Abend Gregory, unserem älteren Sohn –«
    »Klar, natürlich«, versicherte Gertie, damit er sich nicht länger mit einer Erklärung herumquälen musste.
    Er ließ nicht locker, weil er ihr klarmachen wollte, wie grotesk der Versuch war, Margarets Terminplan mit dem von irgendjemand anderem abzustimmen. »Greg kommt aus Washington, wo er lebt und arbeitet, um einen letzten Tag allein mit seiner Mutter zu verbringen, und wenn es auch sein kann, dass das nur bis fünf Uhr geht –«
    »Klar, sicher, das verstehe ich.« Gertie flehte jetzt förmlich um Gnade.
    Enrique war unerbittlich. »Ich will nicht riskieren, dass sie weniger gemeinsame Zeit haben, weil noch jemand kommt. Deshalb habe ich den ganzen Mittwoch für Greg geblockt.«
    »Natürlich, klar.« Gertie gelang es, nett zu klingen. Ausnahmsweise war ihre Stimme leise und sanft. Dann folgte ein Schweigen, das er sich nicht erklären konnte, bis er hörte, dass sie gegen die Tränen kämpfte, als sie weitersprach. »Sag mir … wann es geht … und ich werde dafür sorgen, dass Bernie dann kann. Sag mir einfach nur, wann es passt.« Um nicht den Eindruck zu erwecken, vor Mitleid ganz kapituliert zu haben, setzte sie hinzu: »Aber nicht Dienstag. Dienstag ist einfach unmöglich.«
    »Wie wär’s am Montag? Um zwei oder drei?«
    »Moment. Wartest du bitte kurz, Ricky?«, fragte sie und beging dabei die Sünde, seinen Namen zu anglisieren.
    Er nutzte die Gelegenheit, um sein Headset wieder ins Ohr zu stöpseln, und murmelte im Singsang eines Kindes, das sich am ersten Kindergartentag der Gruppe vorstellt: »Ich heiße Enrique.« Er öffnete wieder die Kalenderfunktion im Handy und dachte an sein seltsames Intermezzo mit Dr. Ko. Nach der Diskussion mit Margaret über das Wann und Wie ihres Sterbens hatte er die Ärztin nach unten gebracht. Sie nahm ihren Regenmantel vom Stuhl – in diesem Juni war fast jeder Tag bewölkt und regnerisch –, sah Enrique an, und ihr kluges, eckiges Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an. Sie seufzte tief. »Sie ist eine sehr, sehr tapfere Frau.« Enrique stimmte ihr zu. Das hatte ihm Margarets Krankheit klargemacht, und die Erkenntnis hatte ihn überrascht. Margaret hatte viele Schwächen, insbesondere eine bestimmte Art von Passivität, die manchmal wie Feigheit wirkte. Aber er hatte sich getäuscht. Im Umgang mit dieser tödlichen Bedrohung hatte sie sich als verblüffend mutig erwiesen. »Ich muss Sie etwas fragen«, fuhr Dr. Ko fort. »Verstehen Sie bitte: Was sie tut, ist absolut rational. Mit der Logik ihrer Entscheidung habe ich kein Problem. Sie würde nicht mehr länger als ein, zwei Monate durchhalten, selbst wenn sie alles täte, um weiterzuleben, und es ginge ihr sehr schlecht. Aber die meisten Leute überlassen den Zeitpunkt ihres Todes der Krankheit. Sie wollen, dass die Krankheit sie …«
    »… hinterrücks umbringt«, beendete Enrique den Satz für sie, weil er daran dachte, wie sich sein Vater in den Tod geschleppt hatte.
    »Ja.« Sie nickte und sah noch einmal die Treppe hinauf. »Sie wollen dem nicht ins Gesicht sehen. Ich behandle seit über zwanzig Jahren Patienten im Endstadium, und ichhatte erst einen einzigen Patienten, der auf diese Art sterben wollte, so klar und direkt.« Sie richtete ihren intelligenten Blick auf Enrique.
    »Ach ja?« Das überraschte ihn. Viele seiner Bekannten schworen, dass sie ihr Sterben nicht hinauszögern wollten, dass sie an Margarets Stelle dasselbe täten.
    »Ja, das ist selten, deshalb muss ich fragen.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Entspricht das ihrer generellen Wesensart?«
    Dass eine Hospizärztin das fragte, erstaunte Enrique.

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