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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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gern.«
    »Bist du denn nicht so?« Sie ging so zügig, dass er glaubte, sie wolle das Date möglichst schnell beenden. »Ach komm, du hast die Schule abgebrochen. Du bist mit sechzehn von zu Hause weggegangen. Du hast mit einer älteren Frau zusammengewohnt. Du bist viel abenteuerlustiger als ich.«
    »Eigentlich nicht«, widersprach er. Dann entstand ein Schweigen, das ihn sogleich in Panik versetzte. Er fürchtete, dass sie nichts mehr hatten, worüber sie reden konnten. Sie waren Freunde, das allerdings war ein beruhigender Gedanke; er brauchte sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, wie und wann er die Kluft zwischen ihnen überspringen sollte. Aber ohne diese quälende Frage im Hinterkopf schien sein Denken die Richtung verloren zu haben. Hatte es überhaupteinen Sinn, diesen Abend fortzusetzen? Er hatte das Gefühl, das ganze Unternehmen, das wochenlange Bemühen, einmal mit ihr allein zu sein, sei umsonst gewesen. So peinlich es für ihn als erklärten Feministen war, musste er sich doch eingestehen, dass sein Interesse an ihr offenbar rein sexuell war. Dass ihm der Druck genommen war, war ja okay, aber jetzt hätte er genauso gut nach Hause gehen und fernsehen können. »Und deine Brüder? Sind die abenteuerlustig?«, hörte er sich sagen, wobei er sich nicht erinnern konnte, diesen Gedanken gedacht zu haben.
    Sie gluckste leise, ein komplexes Nebeneinander von Zärtlichkeit und Verachtung – eine Melodie, die kein Mann je hervorbringen konnte: wissend und sarkastisch, liebevoll und genervt zugleich. »Meine Brüder …«, begann sie. »Die sind die streberhaftesten jungen Männer, die du dir vorstellen kannst. So brave Jungs«, seufzte sie. »Meine Mutter hat sie gut erzogen.«
    Enrique bemerkte, dass Gehorsam keine Eigenschaft war, die sie an einem Mann bewunderte. Das war das Problem, befand er auf der Stelle. Margaret hielt ihn für einen Rebellen. Sie hatte ja keine Ahnung, wie er sich danach sehnte zu gehorchen – wenn er nur eine Autorität finden würde, der er vertrauen konnte. »Sind sie jünger als du?«
    »Nein, Rob ist älter. Vier Jahre älter und schon so gesetzt. Er benimmt sich, als wäre er so alt wie mein Vater.« Sie lachte – wieder eine komplizierte Melodie, die diesmal nach Enttäuschung und Verzeihen klang. »Er war so gemein zu mir, als ich klein war. Hat mich immer geärgert.« Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie darüber immer noch fassungslos. »Eines Abends gingen meine Eltern weg, und er sollte auf mich aufpassen. Wir haben Pizza bestellt, und ich war ganz aufgeregt. Meine Lieblingspizza, mit Champignons. Während wir auf den Pizzaboten warteten, haben wir Cowboy und Indianer gespielt, und Rob hat mich irgendwie dazugekriegt, mich von ihm fesseln zu lassen. Und als dann die Pizza kam, hat er mich nicht losgebunden. Er hat alles allein gegessen, vor meinen Augen.« Sie schien sich immer noch zu ärgern, obwohl das Ganze schon so lange her war.
    »Wie alt warst du da?«
    »Sechs? Nein, warte. Sieben? Ich weiß es nicht mehr genau. Mal überlegen, das war …«
    Er unterbrach sie. Er wusste inzwischen, dass ihr Exaktheitsfimmel ihr nicht einmal gestattete, sich um ein paar Monate zu irren, aber so genau interessierte es ihn dann doch wieder nicht. »Dann war dein Bruder ja selbst noch ein Kind, oder? Es war einfach nur ein Dummejungenstreich. Aber jetzt ist er nicht mehr so? Fesselt keine Mädchen mehr?«
    Sie lachte. »Wenn’s nur so wäre! Dann könnte ich ihm ja verzeihen. Nein, er war einfach nur gemein, nicht irgendwie schräg. Er hat einen Lehrstuhl in Yale. Achtundzwanzig und schon ein alter Knacker.«
    »Er ist achtundzwanzig und hat schon einen Lehrstuhl?«
    »Will sich vermutlich bald zur Ruhe setzen.« Sie drehte sich von ihm weg und sagte zu den Stufen vor einem Haus: »Er ist brillant. Er ist ein Genie. Aber ein Genie in Mikroökonomie. Wen interessiert das schon?« Sie lachte und wandte sich wieder Enrique zu. »Tut mir leid. Ich bin gemein. Aber es ist doch wahr. Wen interessiert das?«
    Sie findet mich exotisch, dachte Enrique. Darum mag sie mich. Aber ich bin nicht exotisch. Ich bin genauso ein nerd wie ihr Bruder, nur längst nicht so schlau. »Was ist der Unterschied zwischen einem Mikroökonomen und einem normalen Ökonomen?«
    »Oh, das sind ganz verschiedene Gebiete. Frag das bloß nicht in Gegenwart meiner Familie. Sie verachten Makroökonomen.«
    »Tut mir leid, aber ich hab keinen Schulabschluss. Was ist der Unterschied zwischen Makro- und

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