Glückliche Ehe
näherten sich der Kreuzung Sixth Avenue und Eighth Street. Zu Enrique mussten sie nach Osten abbiegen. Wenn sie aber einen Block weiter nach Norden bis zur Ninth gingen, würden sie bei ihr landen.
Um sie abzulenken, damit sie ohne darüber zu diskutieren weiter zu ihrer Wohnung gingen, strapazierte er den Witz noch weiter: »Rollschuh laufen? Komm, gib’s zu: Heroin. Was hast du gemacht? Ihm den Arm verdreht, um an sein Milchgeld zu kommen?«
Margarets Gesicht wurde ernst. Er fürchtete, dass sie gegen sein listiges Manöver protestieren würde. »Armer kleiner Larry. Ich habe so gern auf ihn aufgepasst«, sagte sie mit wehmütiger Zärtlichkeit. Sie überquerte die Straße und ging weiter in Richtung Ninth. »Er war so ein lieber Junge.«
»Ach? Und jetzt ist er ein Serienmörder?«
»Er ist immer noch lieb. Nur ein bisschen …«
Sie verstummte und dachte nach. Ihm war dieGesprächspause recht. Trotz der vorbeibrausenden Taxis war die Ninth viel ruhiger als die lärmende Eighth. Ein paar Vorgartenbäume waren mit Weihnachtslichterketten geschmückt, aber in diesen wirtschaftlich desolaten Zeiten nicht gerade viele. Er konnte die brennenden Holzscheite in den Kaminen riechen und sich die wohlige Zufriedenheit der Familien in den Häusern vorstellen. Er wusste nicht mehr, was er sich eigentlich von Margaret versprach. Er hatte nicht den Mumm, sie zu erobern, das war klar, aber er wollte auch nicht einfach nur mit ihr befreundet sein. Er hatte keine Ahnung, was er mit einer Freundin dieser Art anfangen sollte. Ins Museum gehen? Zusammen häkeln lernen? Aber diese Stille zwischen den gediegenen Häusern, in denen sich Henry James, Mark Twain, Eleanor Roosevelt, Emma Lazarus und Dutzende von Psychoanalytikern und ihre bedauernswerten Analysanden den Mund fusselig geredet hatten, dieses Warten darauf, dass Margaret ihm ein paar Geheimnisse ihres Herzens offenbarte, dieses ruhige Gehen an ihrer Seite – das machte ihn zufrieden.
»Larry sollte Architekt werden«, sagte sie schließlich.
»Und was wird er tatsächlich?«
Margaret runzelte die Stirn. »Meine Eltern bearbeiten ihn, dass er Ökonom werden soll – vor allem meine Mutter. Sie findet Architektur zu riskant.«
»Was?« Enrique lachte. Aus seiner Schulabbrecher-Perspektive hatte es ein Architekt genauso leicht, einen Job zu finden, wie ein Ökonom. Außerdem behauptete sein Freund Sal, der sich mit dem Ausbau von Büro- und Fabriketagen gerade so durchschlug, dass nur sein fehlendes Architekturexamen ihn daran hindere, ein Vermögen zu machen.
»Na ja, als Architekt seinen Lebensunterhalt zu verdienen ist schwieriger. Aber Larry hat schon als kleiner Junge gern gezeichnet. Das ist immer noch so. An Thanksgiving hat er gesagt, Kunst sei sein Lieblingsfach. Und seineZeichnungen waren richtig gut. Das macht meine Mutter ziemlich nervös. Er hat wirklich Talent und ein Gespür, aber das –« Sie schüttelte den Kopf und sagte leise: »Künstler zu sein. Das geht in meiner Familie nicht. Jedenfalls nicht für einen Mann.«
Sie waren jetzt an der eleganten Fifth Avenue angelangt und hatten einen weiten Blick in beide Richtungen: Im Süden lagen der Washington Square Arch und dahinter die hellerleuchteten Türme des World Trade Center; im Norden buhlte die Spitze des Empire State Building um Aufmerksamkeit, als könnte es der Wolkenkratzer nicht hinnehmen, nicht mehr das höchste Gebäude Manhattans zu sein. »Aber du darfst Künstlerin sein?«
Sie sah Enrique enttäuscht an. »Ich habe zu heiraten und Kinder zu bekommen«, sagte sie in einem Tonfall, der jedem Wort ein »Versteht sich das nicht von selbst?« beizufügen schien.
Plötzlich fühlte sich Enrique wie der Schurke in einem Roman, der Unhold ihrer Geschichte, der Zerstörer aller Hoffnungen einer jungen Frau, ihre Talente zu entfalten. Seine melodramatische Phantasie malte sich schon die Handlung aus: Margaret, die glaubt, einen Künstler gefunden zu haben, der sie dabei unterstützen wird, aus dem Buddenbrook-Szenario ihres bourgeoisen Elternhauses auszubrechen, verliebt sich in das langhaarige Wunderkind, doch statt ihren großen Roman zu schreiben, wird sie als Ehefrau zu einem besseren Dienstmädchen, strampelt sich in einer Mietwohnung in der Lower East Side damit ab, Enriques Gören aufzuziehen, während er erfolglose Bücher schreibt und sie mit Schauspielerinnen und Dichterinnen betrügt. Schließlich lässt der selbstsüchtige Versager eine gealterte Margaret ohne einen Cent sitzen,
Weitere Kostenlose Bücher