Glücksboten
lese ganz gern einmal ein wenig, vor allem, wenn ich den ganzen Nachmittag höfliche Konversation machen musste.«
»Arme Kitty, es muss schrecklich anstrengend sein, gesellig zu sein.« Perdita jedenfalls fand Rogers aufmerksame Konversation ziemlich ermüdend.
»Oh, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Wenn ich die Nase voll habe, tue ich einfach so, als wäre ich eingeschlafen, bis mein jeweiliger Gesprächspartner sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schleicht.«
»Machst du das mit Lucas auch so?«
»O nein. Er langweilt mich nicht, obwohl er mir vorliest, und das schläfert mich doch manchmal ein wenig ein. Er hat sich als ein ganz netter Mann entpuppt, weißt du?«
»So nett, dass du ihm mein Haus angeboten hast.« Perdita lächelte, um ihren scharfen Tonfall zu kaschieren.
»Nur vorübergehend. Und es ist ja nicht so, als wohntest du selbst da. Ich würde nicht wollen, dass er dort schläft, wenn das Haus nicht leer stünde.«
»Es wäre auch kaum genug Platz für uns beide da«, wandte Perdita ein. »Ein einziges Schlafzimmer mit nur einem einzigen Bett.«
Kitty sah Perdita über ihre Brille hinweg an. »Es tut mir Leid, ich hätte ihm kein Haus anbieten dürfen, das nicht mir gehört. Ich hätte ihn ja hierher eingeladen, nur habe ich das Gefühl, dass die Pfleger und Miriam auch ohne ihn genug zu tun haben. Weshalb ich ihm voreilig die Benutzung deines Hauses angeboten habe. Das hätte ich natürlich nicht tun dürfen. Es steht mir nicht zu.«
Perdita lächelte verkrampft und fühlte sich sehr schäbig, weil sie Lucas gegenüber Vorbehalte hatte, obwohl dieser Kitty so offensichtlich gut tat.
Der Garten schien neuerdings der einzige Ort zu sein, an dem sie für sich sein konnte, und unter dem Vorwand, einige purpur blühende Brokkoli pflücken zu müssen, entschuldigte sie sich. Auf dem Weg zum Gemüsebeet, das immer noch voller Pflanzen war, die Kitty gesetzt hatte, analysierte sie, warum sie Lucas nicht in ihrem Haus haben wollte. Es gab im Wesentlichen zwei Gründe dafür. Einer war, dass das Haus für sie eine Zuflucht vor den Pflegern und Roger sowie vor dem Besucherstrom bei Kitty darstellte, aber vor allem lag es daran, dass ihr Haus, das im Grunde nur ein Cottage war, ihr Leben nach Lucas repräsentierte. Als er sie verlassen hatte, war sie nichts als ein Häufchen Elend gewesen. Jetzt fehlte ihr nur noch eins, nämlich ein netter, umgänglicher Freund, der sie samstags abends auf einen Drink ausführte und dann mit ihr schlief.
Das Bild Rogers flackerte vor ihrem inneren Auge auf. Er würde diese Rolle wahrscheinlich auf der Stelle übernehmen, das hatte er mit seinen vertraulichen kleinen Plaudereien mehr als deutlich gemacht. Sie mochte ja aus der Übung sein, aber sie konnte nach wie vor die Zeichen deuten und erkennen, dass er an ihr interessiert war. Aber die Aussicht auf ein Abenteuer mit ihm reizte sie nicht. Es gab nichts Bestimmtes an Roger auszusetzen, er war nur einfach ziemlich stumpfsinnig und absolut nicht sexy.
Lucas war etwas ganz anderes, und sie wollte auf gar keinen Fall, dass Lucas in dem Haus schlief und lebte, in dem sie so viel geweint hatte. Sie wollte nicht, dass er in ihrem Bett aufwachte und ihre Amsel auf dem Baum vor dem Fenster singen hörte. Sie wollte nicht, dass er barfüßig in ihr Badezimmer tappte, die Klobrille oben ließ oder Zahnpasta in ihr Waschbecken schmierte, wie sie selbst es jeden Tag tat.
Während sie die Brokkoli pflückte, fragte sie sich, warum sie so auf die Vorstellung reagierte, Lucas könne ohne sie in ihrem Haus schlafen, während der Gedanke, er könne es mit ihr tun, ganz und gar nicht dieselbe Wirkung hatte.
»Aber das ist reine Fleischeslust«, murmelte sie und entschuldigte sich bei den Blattläusen, die sie beim Pflücken zertrat. »Es ist nicht dasselbe. Es ist absolut in Ordnung, Lucas wegen seines Körpers zu wollen, natürlich immer vorausgesetzt, dass er es nie erfährt. Und als Kitty im Krankenhaus war und ich mich einsam fühlte, war es nur verständlich, dass ich mich nach einem Mann zum Kuscheln sehnte. Ich habe mich nur deshalb für Lucas entschieden, weil es keine anderen Männer in der Nähe gibt. Und da ich nicht mit ihm gekuschelt, sondern ihn nur umarmt habe, als er mich nach Weihnachten nach Hause brachte, und da ich mich in der Damentoilette von Grantly House nicht wirklich habe von ihm vergewaltigen lassen, muss ich mich von dem Bazillus Lucas wirklich endgültig erholt haben. Aber in meinem
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