Glücksboten
Leben zusammengetragen, wie ihr nur eingefallen waren; außerdem hatte sie ihm ein paar Anekdoten erzählt. Der Rest lag jetzt bei ihm.
Trotz des dürftigen Materials war es ein wunderbarer Nachruf. Lucas fing Kittys rebellischen Geist ein, ihren Charme, ihren Witz und ihre Klugheit. Vieles davon wusste er aus eigener Erfahrung, das wurde Perdita klar, als er Geschichten erzählte, die sie selbst nie gehört hatte.
Er schaffte es, Kitty im Geiste auferstehen zu lassen und den Anwesenden klar zu machen, dass Kitty weit mehr in ihrem Leben erreicht hatte als nur ein hohes Alter. Lucas brachte die Leute sogar zum Lachen, was Perdita gefiel. Sie wollte, dass man sich an die gesunde und lebendige Kitty erinnerte und nicht allzu sehr an die, die gestorben war. An die dachte Perdita selbst möglichst wenig. Ihr war auch bewusst, dass sie beobachtet wurde, dass man Tränen von ihr erwartete. Als sie aus der Kirche traten und auf den Friedhof gingen, fand sie sich von ihrem Vater und Lucas in die Mitte genommen. Wenn ich zusammenbreche, dachte sie, werde ich wenigstens aufgefangen. Dann entdeckte sie Roger, der eine schwarze Armbinde und eine schwarze Krawatte trug. Perdita hatte darauf bestanden, dass die anderen Männer hübsche, helle Krawatten trugen, wie Kitty sie gemocht hätte. Typisch Roger, so konventionell zu sein und in diesem Fall so ganz und gar auf dem Holzweg.
Und noch immer wollten keine Tränen kommen. Perdita schien das Weinen als solches verlernt zu haben. Die Leute werden mich für furchtbar hart halten, dachte sie. Sie werden glauben, es sei mir egal, ich sei froh, dass Kitty tot ist, damit ich ihr Geld erben kann. Vielleicht sollte ich mir Daddys Taschentuch borgen und mir die Nase putzen. Aber sie konnte nicht einmal so tun, als weinte sie. Allerdings rang sie doch einen Augenblick um Atem, als sie einen Kranz aus grellgelben Chrysanthemen entdeckte. Sie kniff die Augen zusammen und las die Karte. Darauf stand:
Für meine teure Tante Kitty, in inniger Zuneigung, von ihrem sie liebenden Neffen Roger.
Das Schaudern, das der Kranz in Perdita wachrief, gab ihr gleichzeitig ein wenig Kraft - sie wusste genau, dass sie ihm erklärt hatte, dass Kitty keine Kränze wolle.
Später im Haus war sie ganz die charmante Gastgeberin. Das Wohnzimmer mit seiner Blumenpracht sah prachtvoll aus. Perdita und die Dame von der Kirchengemeinde hatten sich miteinander angefreundet und zu den waghalsigsten Arrangements hinreißen lassen. Das Essen, der Whisky und der Champagner taten ein Übriges, und schon bald entbrannten überall eifrige Gespräche. Perdita beobachtete Roger, wie er missbilligend in sein Champagnerglas blickte und sich offensichtlich fragte, ob er dafür würde bezahlen müssen. Rogers säuerliche Miene ließ Perdita wünschen, Lucas gebeten zu haben, Austern und Kaviar und Jahrgangschampagner zu servieren statt des gewöhnlichen Champagners, und Gingle Malt Whisky statt des Verschnittes. Was für eine vergeudete Gelegenheit, sich an Roger zu rächen!
Es war schön zu sehen, wie Beverley, Eileen und Thomas miteinander schwatzten. Sie blieben alle über Nacht, und Perdita wusste, dass sie beim Abwasch jede Menge Hilfe haben würde.
»Ist Mrs Ansons Anwalt hier?«, fragte Beverley.
»Ich glaube nicht«, antwortete Perdita. »Er war kein persönlicher Freund oder so etwas.«
Beverley runzelte die Stirn. »Oh. Ich dachte nur, er müsse es sein, weil er sie einmal besucht hat, als sie krank war. Und Roger hat auch schon gefragt, ob der Anwalt hier sei.«
Perditas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. »Der Anwalt hat sie besucht, während ich nicht da war? Warum haben Sie mir das nicht erzählt?«
»Oh, tut mir Leid.« Beverley war entsetzt. »Ich hab einfach vergessen, es zu erwähnen. Es war an dem Tag, als Ronnie da war, um uns die Haare zu schneiden.«
Ein Anflug von Panik trübte Perditas Gedächtnis. »Und war Roger damals bei uns?«
»O ja. Er war bei Mrs Anson, als der Anwalt da war. Habe ich etwas falsch gemacht?«
Perdita zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, natürlich nicht. Aber bitte, greift doch alle ordentlich zu. Lucas hat sich so viel Mühe mit dem Essen gegeben.«
Sie ging weiter. Es hatte keinen Sinn, die Fassung zu verlieren: Was geschehen war, war geschehen. Entweder hatte Roger Kitty dazu gebracht, ihr Testament zu ändern, oder er hatte es nicht getan. Das würde sie, Perdita, bald genug herausfinden. Wenn sie sich darauf hätte verlassen können, eine ehrliche Antwort
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