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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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war Viertel nach eins. Ich hatte es geschafft, ungefähr fünf Stunden zu schlafen. Das war ausgezeichnet. So war weniger vom Tag übrig.
    Zeit, meine Tablette zu nehmen, meine kostbare, wunder bare Tablette. Ich wankte in die Küche, füllte mir dort ein Glas mit Leitungswasser und hoffte, dass es voller schreck licher Bakterien wäre. Bevor ich die Tablette runterschluckte, redete ich ihr gut zu. Wirke, sagte ich, mach, dass das schreck liche, schreckliche Gefühl verschwindet.
    Ich stellte mir vor, wie sie durch meinen Körper sauste und dabei große Mengen von Serotonin freisetzte. Aber, ach! Wie sehr wünschte ich mir ein Blutgerinnsel in der Lunge! Ich versuchte das zu visualisieren, so wie Krebspatienten sich vorstellen sollen, dass sie ihre Krebszellen abschießen. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie das Gerinnsel größer wurde und sich ausdehnte und das ganze Blut sich dahinter staute wie Wasser hinter einem Damm, dann brach der Damm, und das Blut überflutete ihn, und ich verlor das Bewusstsein …
    Ob es erlaubt war, dass ich mir eine Cola light aus Waynes Kühlschrank nahm?
    Ich hatte Durst und brauchte etwas, das mich munter machte. Natürlich war es nicht erlaubt, davon zu trinken. Genau genommen war es Diebstahl. Aber ich konnte Ersatz besorgen. Ich konnte die ganze Flasche leer trinken und eine neue kaufen, und wenn Wayne zurückkam, würde er nichts davon bemerken.
    Vorausgesetzt natürlich, Wayne kam zurück. Ich starrte aus dem Küchenfenster in den kleinen Garten und ließ den heimlichen Gedanken zu: Vielleicht kam Wayne nie mehr zurück, und ich konnte einfach anfangen, hier zu wohnen. Vielleicht würde mein Leben zu einem gespenstischen Film, und ich würde Waynes Auto fahren und seine Sachen tragen. Vielleicht würde ich seine Nudeln essen und seine Cymbalta nehmen. Vielleicht wäre ich es, Helen Walsh, die am Mittwoch, Donnerstag und Freitag im weißen Anzug vor den kreischenden Tausenden stehen und singen würde, und niemand würde es bemerken. Vielleicht würde ich mich langsam in Wayne verwandeln . Vielleicht passierte das jetzt schon.
    Jetzt fürchtete ich mich vor mir selbst.
    Mit dem festen Vorsatz, in den nächsten Minuten raus und in ein Geschäft zu gehen, goss ich mir ein Glas von der Cola light ein und nahm mein geliebtes Handy. Viele Nachrichten waren eingegangen, während ich im Land der Träume weilte.
    Eine von meiner Schwester Claire, die mich für den Tag zu einem Grillfest in ihrem Haus einlud. Zwanzig – in Zahlen zwanzig – SMS von Jay Parker, der mich auf zwanzig verschiedene Arten fragte, ob ich Wayne inzwischen gefunden hatte, und dann schrieb, dass John Joseph an dem Tag ein Grillfest veranstaltete und mit meiner Anwesenheit rechnete. Und eine von Artie:
    Hab ich geträumt? Heute Abend Grillfest. Kommst du?
    »Was ist denn los?«, sagte ich laut. »Ist heute nationaler Grilltag?«
    Wirklich enttäuschend, wenn einem eine so exzellente sarkastische Bemerkung einfällt und niemand sie hört.
    Ich wählte Waynes Nummer. Auch diesmal war das Handy abgeschaltet, aber ich hoffte, wenn ich immer mal wieder anrief, würde er vielleicht irgendwann drangehen.
    Oben im Badezimmer putzte ich mir die Zähne und beäugte unsicher die Dusche, doch dann wurde mir mit gro ßer Erleichterung bewusst, dass das unmöglich war. Waynes heißes Wasser zu benutzen? Das war wirklich Diebstahl!
    Außerdem war ich nicht im Bett gewesen, war folglich nicht aufgestanden, musste mich also auch nicht waschen, und die fünf Stunden Schlummer auf Waynes Fußboden zählten nicht. Ich wusch mir gründlich Gesicht und Hände, das müsste genügen.
    Als ich wieder unten war, zwang ich mich zu etwas, das unangenehm und beängstigend war – ich schrieb Docker eine lange Mail. Bei meinem spontanen Nickerchen war ich zu dem Entschluss gekommen, die Tatsache, dass ich in sein Haus eingebrochen war, direkt zu beichten, statt in der ständigen Angst zu leben, dass die Geschichte mich ein holte.
    Als Thema schrieb ich »Sorge um Wayne« und erzählte Docker alles – dass Wayne verschwunden war und ich vermutet hatte, er, Docker, würde ihm Asyl geben, dass ich von dem Haus in Leitrim erfahren hatte und überzeugt gewesen war, Wayne wäre dort, und dass ich das Glas in der Haustür zerschmettert hatte und einfach wieder nach Dublin gefahren war, obwohl das Haus sperrangelweit offen stand, und dass ich jetzt Angst hatte, eine Bande randalierender Eichhörnchen würde vom Wohnzimmer Besitz ergreifen und sich

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