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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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schon preisverdächtige Ausmaße angenommen. Hier bestand nicht die Gefahr, dass jemand in einem grünen Bus zu einem Umerziehungszentrum abtransportiert wurde. Etliche von Claires Freun dinnen waren da, sie ließen ihre Kinder unbeaufsichtigt rum laufen, schüttelten ihr gesträhntes Haar und trugen billig imitierte Versace-Sonnenbrillen (Versace, also wirklich!). Dabei gossen sie fröhlich den Wein in sich hinein, den sie hartnäckig Vino nannten. Das kam sofort in die Tonne.
    Claire machte die Runde, eine Flasche mit obigem Vino in der Hand, und füllte die Gläser bis zum Rand, sodass Wein auf frisch pedikürte, korallenrote Fußnägel spritzte. Sie nahm ihre Gastgeberpflichten sehr ernst. Wenn nicht bei jeder Party, die sie gab, mindestens drei Personen mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, hatte sie das Gefühl, ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden zu sein.
    »Ach, da bist du ja«, sagte sie zu mir. »Gut, gut, wir haben uns … ein wenig … Sorgen um dich gemacht.«
    »Mir geht es bestens«, sagte ich.
    Vier, fünf kichernde Kinder stürmten über den Rasen und quetschten sich zwischen Claire und mir hindurch. Als sie weg waren, sagte ich: »Wie ist es dir gestern mit der Polizei ergangen?«
    »Ich kriege drei Punkte und eine Geldstrafe, ich glaube, sie haben was von zweihundert Euro gesagt. Dreckskerle.«
    »Richtig, genau, Dreckskerle. Aber vielen Dank, dass du beim Auspacken meiner Sachen geholfen hast.«
    »Sehr gern. Nur dass ich gar nicht da war. Mum und Margaret haben das gemacht. Hier ist die ganze Wahrheit: Ich bin erst vorbeigekommen, als ich das mit den Fotos von Artie hörte. Himmel! Ganz schön beeindruckend! « Sie unterbrach ihr Lob auf Arties Gemächt, um die Kinder anzuschreien: »Passt bloß auf, ihr Gören, dass ihr den Leuten nicht die Gläser aus den Händen schlagt.« Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Ich meine, wirklich, Helen, volle Punkt zahl!«
    »Ja, danke, Claire. Aber sag mal, warum machst du heute eigentlich ein Grillfest?«
    »Weiß ich auch nicht. Es ist Samstag, das Wetter ist gut, es ist Sommer. Jede Entschuldigung ist recht, um sich ein paar Gläschen von dem guten alten Vino zu genehmigen.«
    »Niemand hat dich gezwungen?«
    Sie atmete tief ein und wusste einen Moment lang nicht, was sie sagen sollte. »Nein. Ist bei dir … alles in Ordnung?«
    »Bestens, großartig.«
    »Ein Gläschen?«, sagte sie schnell.
    Die Vorstellung, mich zu betrinken, war sehr verlockend, aber ich hatte Angst. So, wie ich mich fühlte, würde ich nach einem Glas Wein hundert weitere trinken wollen, und die Vorstellung von einem Kater war mir unerträglich. Besser, gar nicht erst anzufangen.
    »Habt ihr Cola light?«
    »Für wen? Für dich?« Der Gedanke, ein Erwachsener könne etwas trinken, das keinen Alkohol enthielt, schien Claire zu befremden. »Also, wenn du meinst. Auf dem Tisch beim Grill stehen ein paar Flaschen. Wir mussten sie kaufen, weil Kinder hier sind, aber wenn ich es zu entscheiden hätte, würden sie Dublins fantastisches Leitungswasser zu trinken bekommen. Monster, alle miteinander.«
    Auf dem Weg zu dem Tisch mit der Cola light hielt ich den Kopf gesenkt und vermied es so, angesprochen zu werden.
    Wie es die Regel bei allen Grillfesten ist, führte ein Mann die Oberaufsicht am Grill, und in diesem Fall war es Claires Mann Adam. Er trug – auch das eine Regel – eine Plastikschürze mit einem Spruch drauf, der so lahm war, dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnern kann, und wurde bei seiner Arbeit von den Ehemännern von Claires Freundinnen unterstützt, die sich um den Grill scharten, Bier tranken und ein gutes Stück älter aussahen als ihre Vino trinkenden Frauen. Sie waren allerdings keineswegs älter, sie ließen sich einfach nur gehen – typisch für irische Männer. (Mit Ausnahme von Adam, der ungefähr so alt aussah wie Claire, was aber daran lag, dass er fünf Jahre jünger war als sie.)
    Jemand hielt mir einen Pappteller mit einem Burger hin, und ich wich zurück. Der Burger sah schrecklich aus, völlig verkohlt lag er auf einer dicken, fetten Brötchenhälfte, und in dem Versuch, mich möglichst normal zu verhalten, biss ich davon ab. Das Brötchen fühlte sich an wie Watte. Der Watteball rollte in meinem Mund herum und schmeckte auch nach einigem Kauen nicht nach etwas Essbaren. Produzierte meine Mundhöhle keinen Speichel? Oder war das Brötchen tatsächlich aus Watte? Als Witz, vielleicht? Bei meiner Familie konnte man nie

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