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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ein Schock war, weil einem plötzlich bewusst wird, dass der Winter nicht immer weitergehen wird, und der Körper spürt, dass es auch so etwas wie Sommer gibt.
    Artie holte mich ab, und als ich in sein Auto stieg, begrüßten wir uns verhalten, wir küssten uns nicht und berührten uns auch nicht. Er fuhr zum Devil’s Glen, einem entlegenen, dicht bewaldeten Teil von Wicklow, und als er ausstieg, musterte ich ihn genau: Er trug Wanderschuhe, Jeans, eine blaue Jacke aus irgend so einem Hightech-Material und hatte einen Rucksack auf.
    »In die Tonne?«, fragte er. »Ist es der Rucksack?«
    Wir bemühten uns beide um einen versöhnlichen, nicht zu ernsten Ton, deshalb sagte ich: »Ist nicht so richtig mein Fall. Aber du hast Glück – weil du so attraktiv bist, ist es nicht so schlimm. Übrigens«, fragte ich, »was ist, wenn es regnet?« Die Sonne stand hell am Himmel, aber wir waren in Irland.
    »Du könntest das hier anziehen.« Artie holte etwas aus dem Kofferraum.
    »Was ist das?«, fragte ich misstrauisch.
    »Eine Jacke.«
    Zögernd nahm ich das Ding entgegen. Es war schwarz und wog weniger als eine Tüte Süßigkeiten, eine von den kleinen, die es sich kaum lohnt aufzureißen, weil so wenig drin ist.
    »Ist das so eine Hightech-Jacke? Aus so einem Geschäft?« Ein unangenehmer Gedanke beschlich mich. »Es ist nicht … Vonnies, oder?«
    »Nein.«
    »Ionas?«
    »Nein.« Er lachte.
    »Woher hast du sie dann?«
    »Ich habe sie gekauft.«
    »Für mich?«
    »Für dich.«
    »Eine Art Geschenk, ja?«
    »Ja«, sagte er nachdenklich. »Eine Art Geschenk. Willst du sie anprobieren?«
    »Ich weiß nicht. Meinetwegen.« Ich zog die Jacke über, und er machte den Reißverschluss zu. Sie war in der Taille eng und saß perfekt an den Hüften, nicht zu eng, nicht zu weit. An den Ärmelbündchen hatte sie Klettverschlüsse, es gab eine hübsche kleine Kapuze, und zu meiner Überraschung (von der überraschenden Sorte) gefiel sie mir.
    »Sie passt mir«, sagte ich. »Einfach perfekt. Wie hast du das hingekriegt?«
    »Es gab drei Größen: S, M und L. Du bist klein, also habe ich S genommen.«
    »Danke, dass du nicht gesagt hast: ›Ist doch keine Kunst.‹«
    »Gern geschehen.«
    »Und danke für die Jacke.«
    »Gern geschehen.«
    Er ging mir voran auf einem Pfad in den Wald, durch ein schmales Tal neben einem munteren Bach. Das Licht war seltsam und grün, und die Sonne brach nur hin und wieder durch die Bäume. Die einzigen Geräusche waren das Rauschen des Windes in den Ästen und das Sprudeln das Baches. Es fühlte sich an, als wären wir die einzigen Menschen auf dem Planeten.
    Zu meiner Überraschung (von der bezaubernden Sorte) kamen wir hin und wieder an lustigen Sprüchen vorbei, die in Steine am Wegrand gemeißelt waren. Sprüche wie: »Hier verstecken wir uns nach der Schlacht.« »Im Teich kann ich Seepferdchen sehen. Weiter weg sind Bären und Wölfe.« »So müde. Ich kann nicht weitergehen. Ich schlafe hier heut Nacht.«
    »Was sind das für Sprüche?«, fragte ich Artie.
    »Einfach Sprüche. Kunst, wenn du so willst.«
    Neben ein paar grob behauenen und mit Moos bewachsenen Stufen stand: »Ich muss diese Stufen mal sauber machen.« Das brachte mich zum Lachen. Gelegentlich sahen wir seltsame Holzskulpturen: einen großen, aus Holzscheiten gefertigten Ball; eine unheimliche Figur, die aussah, als wäre jemand mit dem Kopf nach unten aufgehängt worden. Ein Fenster mit vier Scheiben, das aus dem Baum hing und einen Rahmen für unseren Blick bildete.
    Nachdem wir ungefähr eine Stunde gegangen waren, kamen wir zu einem Wasserfall, und der Pfad hörte auf. Bei dem Becken unten war wieder ein Spruch: »Wenn wir den Ring finden, mache ich dir einen Heiratsantrag.«
    Auf diesen Spruch machte ich Artie nicht aufmerksam.
    Er breitete eine wasserdichte Decke aus, holte Sandwiches mit Käse und Farmersalat heraus, ein paar Schokoriegel und eine Flasche Prosecco, und obwohl er sich die Mühe gemacht hatte, meine Lieblingsspeisen zuzubereiten, konnte ich nichts essen. Ich trank Prosecco aus einem weißen Plastikbecher. Ich wusste nicht, was Artie sagen würde, ich wusste nicht, wie es weitergehen konnte, aber ich merkte, dass er auf etwas zusteuerte. Es ging um alles oder nichts.
    Ohne mich anzusehen sagte er: »Ich habe dich vermisst.«
    Ich sagte nichts. Ich würde es ihm nicht erleichtern, und wenn er mich um mehr Zeit bat, würde ich sie ihm nicht gewähren.
    »Bella fragt immer noch nach dir«, sagte er.
    Ich zuckte mit

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