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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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die eiligen Schritte hinter mir wahr, als mich auch schon der Schlag traf. Etwas Hartes prallte auf meinen Hinterkopf, sodass mein Gehirn in den vorderen Teil des Schädels katapultiert wurde. Ich fiel nach vorn, die Straße kam mir entgegen und krachte gegen meine Stirn. Sterne explodierten hinter meinen Augen, Übelkeit stieg in mir hoch, und eine Stimme sagte leise in mein Ohr: »Lassen Sie Wayne in Ruhe.«
    Alles war sehr schnell passiert. Ich wusste, es war dringend – zwingend – notwendig, dass ich mich umdrehte und sein Gesicht zu sehen bekam, aber ich konnte mich nicht rühren, so benommen war ich. Die Schritte entfernten sich schnell und wurden schwächer, dann war es still.
    Ich wollte auf die Füße kommen und hinter dem Angreifer herrennen, aber mein Körper war dazu nicht in der Lage. Ich kniete auf der Straße, würgte zweimal, übergab mich aber nicht.
    Weil es eine hochdramatische Situation war, nahm ich an, einer von Waynes Nachbarn würde rauskommen und mich fragen, ob alles in Ordnung sei, aber niemand ließ sich blicken. Also erhob ich mich wankend und versuchte den Umfang des Schadens auszumachen. Wie viele Finger hielt ich hoch? Drei. Aber das wusste ich, weil ich sie hochhielt. Welchen Tag hatten wir? Mit wem war Beyoncé verheiratet? Blutete ich?
    Samstag. Jay-Z. Ja.
    Ich hatte eine Beule an der Stirn und eine am Hinterkopf und Blut auf der Stirn.
    Jemand hatte mir einen Schlag versetzt. Frechheit. Eine riesengroße Frechheit .
    Ich war nicht ernstlich verletzt worden, aber genug, um mir Angst zu machen.
    Nur, es hatte mir keine Angst gemacht.
    Weil ich eher zu der widerspenstigen Sorte Mensch gehöre, hatte es sogar die gegenteilige Wirkung. Wenn Waynes Verschwinden so wichtig war, dass jemand mich von der Suche abhalten wollte – und mich niedergeschlagen hatte, Himmel noch mal! –, dann war ich wild entschlossen, ihn zu finden.

46
    S ankt Teresa war das Krankenhaus für Nervenzusammenbrüche, das Krankenhaus, in das jeder in Dublin – oder wenigstens jeder in Dublin, der eine Krankenversicherung hatte – ging, wenn er »zur Ruhe kommen« musste. Es war die ganz in Weiß gehaltene Zuflucht mit freigebiger Xanax-Verabreichung, die in so vielen Fantasien meiner Schwester Claire und ihrer Freundinnen vorkam, obwohl keine von ihnen jemals da gewesen war, versteht sich.
    Alle sagten, es sehe wie ein Hotel aus, aber das stimmte nicht. Es sah aus wie ein Krankenhaus. Ein schönes, zugegeben, aber es war trotzdem zweifelsfrei ein Krankenhaus. Es gab Fenster, die das Tageslicht hereinließen, aber die Betten waren eindeutig Krankenhausbetten, schmal und höhenverstellbar, mit Metallstreben als Kopfteil. Und die Funktion der schrecklichen, leise gleitenden Vorhänge zwischen den Betten, die einen abschirmten, wenn der Arzt kam und einen am Hintern untersuchte, ließ sich nicht vertuschen. (Allerdings fragte ich mich, warum der Arzt den Patienten in einer psychiatrischen Klinik am Hintern untersuchen musste.)
    In Sankt Teresa gab es Stationen, die verriegelt wurden und wo höchste Sicherheitsvorkehrungen galten und man mit klirrenden Schlüsseln rein- oder rausgelassen wurde, aber wenn man zur Frühlingsblüten-Station wollte, wohin ich mich begab, fuhr man einfach mit dem Aufzug in die dritte Etage und ging rein.
    Wenn sich die Aufzugtüren öffneten, führte ein langer, holzgetäfelter Flur – wahrscheinlich Walnussholz – zum Schwesternzimmer. Vom Flur gingen zu beiden Seiten Zimmer ab, in denen jeweils zwei Betten standen. Voller entsetzlicher Neugier starrte ich in jedes Zimmer, an dem ich vorbeikam. Manche waren leer und hell, und die Betten waren ordentlich gemacht. In anderen waren die Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, und unter blauen Krankenhausdecken zeichneten sich gekrümmte Formen ab, mit dem Rücken zur Tür.
    Es war schrecklich, es war furchtbar, in einer psychiatrischen Klinik zu sein, aber nachdem mein sorgfältig ausgetüftelter Plan, mich zu ertränken, so kläglich fehlgeschlagen war, wusste ich nicht mehr weiter und war für alle Vorschläge offen. Als mein Retter mit dem Hund vorschlug, dass ich irgendwohin gehen sollte, wo ich »zur Ruhe kommen« konnte, war das wie ein kleiner Funke Hoffnung.
    Am nächsten Morgen rief ich Dr. Waterbury an, und er rief in Sankt Teresa an, aber auf der schönen, »hotelähnlichen« Station hatten sie kein Bett frei. Auf der nicht so schönen Station Osterglocken waren welche frei, aber da wurden die Türen abgeschlossen und

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