Glücksfall
Krankenhauspsychiater arbeitete.
»Ich weiß nicht recht, Dave … Darf ich Sie Dave nennen?«
»Wenn Sie mögen. Obwohl ich Arzt bin.«
Er las die Unterlagen, die Dr. Waterbury geschickt hatte, und stellte mir genaue Fragen zu meinem Versuch, mich zu ertränken.
»Sind Sie immer noch in Selbstmordstimmung?«
»Nein …«
»Warum nicht?«
»Weil …« Weil ich es bereits versuchte hatte, ohne Erfolg. Zweimal.
Mein spätabendlicher Schwimmausflug war nämlich mein zweiter Versuch gewesen, mich umzubringen. Zehn Tage zuvor hatte ich meiner Schwester Claire meinen Alexander-McQueen-Schal gegeben, einen kurzen Brief mit einer Entschuldigung geschrieben und meine Schlaftabletten ge schluckt, alle zehn auf einmal. Zu meinem Entsetzen wachte ich neunundzwanzig Stunden später auf, ohne größere Beeinträchtigungen. Außer der natürlich, dass ich noch lebte. Niemand hatte meine Abwesenheit überhaupt bemerkt, und Claire erklären zu müssen, dass ich meinen Schal wiederhaben wollte, war meine geringste Sorge. (»Ich habe ihn dir nur gegeben, weil ich dachte, ich wäre dann tot, aber jetzt lebe ich doch noch, und ich würde ihn gern zurückhaben.«) Ich hatte wirklich geglaubt, ich könnte mich auf die Schlaftabletten verlassen, und die Erkenntnis, dass Selbstmord zu begehen längst nicht so leicht war, wie ich angenommen hatte, war ein ziemlicher Schock. Ich war so demoralisiert, dass ich keinen Sinn mehr darin sah, einen weiteren Versuch zu unternehmen.
Doch schon wenige Tage später dachte ich wieder: »Wär doch gelacht«, und beschloss, einen neuen Versuch zu starten und diesmal erfolgreich zu sein. Ich brachte Tage damit zu, im Netz zu recherchieren.
Sich von einem hohen Gebäude oder von den Klippen zu stürzen, war in der Mythologie eine beliebte Methode, aber – wie ich bald herausfand – unglaublich schwierig umzusetzen. Örtliche Behörden und Selbstmordverhüter hatten alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um Menschen daran zu hindern, sich in den Tod zu stürzen.
Es gab eine Grundregel: Wenn es keinen Schutzzaun drum herum gab, war es nicht hoch genug. Ich konnte es drauf ankommen lassen, und vielleicht hatte ich Glück, aber wahr scheinlicher war es, dass ich mir alle wichtigen Knochen in meinem Körper brechen und den Rest meines Lebens im Rollstuhl verbringen würde und durch einen Strohhalm ernährt werden müsste, und dieses Risiko konnte ich nicht eingehen.
Auch eine Überdosis Paracetamol barg ein Risiko: Sie brachte einen nicht unbedingt um, konnte aber die Leber zerstören, sodass man den Rest seines Lebens unter Schmerzen und Qualen verbringen musste.
Im Grunde genommen gab es nur zwei Methoden: sich die Pulsadern aufzuschneiden oder sich zu ertränken. Ich ent schied mich fürs Ertränken und plante alles bis ins kleinste Detail . Ich hatte kiloweise Erdbeeren in Dosen gekauft, ich hatte an alles gedacht. Und es hatte trotzdem nicht funktioniert.
Gerade jetzt, da Dave mich mit seinem kleinen vorpubertären Gesicht ansah, fühlte ich mich niedergeschlagener, als ich mir je hätte vorstellen können. Schlimmer als in dem Moment, als ich mich mit Selbstmordabsichten trug. Ich war gefangen im Lebendigsein und glaubte, mein Kopf müsste zerspringen.
Aber ich war im Krankenhaus, und da würden sie mich auf wunderbare Weise heilen, deshalb sagte ich: »Ich glaube, ich bin über das Stadium hinaus. Ich glaube, ich bin immer noch … verrückt, aber … jetzt bin ich hier, und Sie sorgen dafür, dass es mir besser geht, oder?«
Dave diagnostizierte Angstzustände und eine Depression – was für eine Überraschung! –, erhöhte die Dosis der Antidepressiva auf das Doppelte und verschrieb mir, was ich barmherzig fand, Schlaftabletten.
»In ein paar Tagen komme ich wieder vorbei«, sagte er und erhob sich.
»Was?« Voller Panik sprang ich vom Bett und wollte ihn am Gehen hindern. »Ist das alles? Das kann nicht alles sein. Sie müssen doch mehr für mich tun. Wie werden Sie die wundersame Heilung vollbringen?«
»Sie können in den Anlagen spazieren gehen«, sagte er. »Die Natur hat eine heilende Wirkung. Oder Sie können in den Entspannungskurs gehen oder beim Yoga oder der Beschäftigungstherapie mitmachen.«
»Das meinen Sie nicht ernst«, sagte ich. »Beschäftigungstherapie? Meinen Sie Werken? Oder Stricken?«
»Oder Mosaikarbeiten. Malen. Es gibt ein umfangreiches Programm. Die Menschen finden das hilfreich.«
»Und das ist alles? « Ich war außer mir vor Empörung.
»Es gibt
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