Glücksfall
anfangs ganz gut verstanden, oder? Was hatte ich getan, dass er seine Meinung geändert hatte? War es wichtig? Mir nicht, das war klar, es war mir sogar vollkommen gleichgültig, ob er mich mochte, aber hatte es etwas mit Wayne zu tun?
Und wo ich schon bei Wayne war: Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass er selbst mich überfallen hatte. Aber ich mochte Wayne. Ich konnte nicht wirklich glauben, dass er der Typ war, der einem ihm wohlgesinnten Menschen den Schädel einschlug.
Konnte es Gloria gewesen sein?
Digby?
… Birdie Salaman?
… dunkle Mächte, die Harry Gilliam zuzuordnen waren?
… Cecily, das Huhn …? Nein … das war tot …
… der Geheimnisvolle Schläger von Old Dublin Town? Die Schlaftablette begann ihr bösartiges Wunder zu wirken, und ich wurde in einen hässlichen, unruhigen Schlaf gezogen.
Und jetzt war ich wieder wach und war nicht an Gehirnerschütterung gestorben – eine herbe Enttäuschung –, und jemand hatte mir eine Nachricht geschickt. Mit trübem Blick las ich sie. Sie war von Terry O’Dowd. Wer war das? Ach ja, der nette Mann aus Leitrim, der Dockers Haustür reparieren wollte. Er schrieb, die Tür sei wieder in Ordnung und das Tor auch, und er verlangte einen geradezu lachhaft geringen Preis dafür. Ich nahm mir fest vor, sollte ich heute nur eine einzige Sache schaffen, dann die, dass ich mir von Mum einen Scheck für ihn geben lassen würde.
Es war Zeit für mein Antidepressivum. Ich schluckte die Tablette ohne Wasser runter. Wirke, flehte ich. Wirke!
Ich merkte, dass ich etwas essen musste. Ich hatte seit … seit wann eigentlich? … nichts Anständiges gegessen. Seit den Cheerios gestern. Ich beschloss, zu der Tankstelle um die Ecke zu gehen und eine neue Packung zu kaufen. Die frische Luft würde mir guttun und vielleicht das merkwürdige Gefühl vertreiben.
Bevor ich losging, prüfte ich mein Aussehen in Waynes Badezimmerspiegel. Was für ein Schock! Auf meiner Stirn war ein Muster aus blauen Flecken und getrocknetem Blut, und mein rechtes Auge war leicht blutunterlaufen. Mit den Fingernägeln kratzte ich so viel Schorf wie möglich ab und holte dann meine Handtasche. Zeit, das schwere Geschütz aufzufahren: mein Clinique Advanced Concealer kam zum Einsatz. Ich trug ihn sanft auf und strich immer wieder über die Stelle, um den Schaden zu kaschieren, und am Schluss sah es ganz manierlich aus.
Dann kämmte ich mir die Haare, und auch das war sehr hilfreich. Die Ponyfransen bedeckten die Stirn, und solange sie nicht hochwehten, sah man mir die Verletzung nicht an. Haarspray, das war es, was ich jetzt brauchte. Eine Durchsuchung von Waynes Pflegeartikeln erbrachte jedoch nichts. Ungünstig für mich, aber ich achtete ihn dafür. Haargel, besonders die lackharte Sorte, konnten auch Männer benutzen, aber Haarspray rückte sie zu sehr in die Nähe von umständlichen älteren Damen.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich große Schmerzen hatte. Mein ganzer Schädel – hinten, vorn, Augenhöhlen, Zähne – pochte vor Schmerzen, so schlimm, dass ich am liebsten gekotzt hätte. Der Schmerz war schon die ganze Zeit da, seit ich aufgewacht war, aber ich hatte bis jetzt gebraucht, um ihn wahrzunehmen. Als ich vor Waynes Badezimmerschrank stand, schien es das Leichteste von der Welt, noch vier Nurofen zu nehmen. Aber kaum hatte ich sie geschluckt, da schämte ich mich schon. Das hier war nicht recht. Ich überschritt eine Linie. Ich hatte sie schon gestern Abend überschritten, als ich mir eine seiner Schlaftabletten genommen hatte. Das war richtig schlimm. So schlimm, dass ich jetzt nicht darüber nachdenken wollte.
Mein Handy piepste, eine Nachricht ging ein. Sie war von Artie, der mich daran erinnerte, dass er am Nachmittag das Haus für sich hatte. Ich schrieb zurück, da ich wieder an dem Fall arbeitete, wüsste ich nicht, ob ich kommen könnte, aber er solle mir sofort Bescheid geben, wenn alle drei Kinder weg waren.
Draußen war der Morgen schrecklich hell, und ich fühlte mich merkwürdig. Ich durchwühlte meine Handtasche, bis ich eine Sonnenbrille und eine Baseballkappe fand, die mich vor der grässlichen Helligkeit schützten. Ich spürte kaum, dass meine Füße auf dem Boden aufsetzten. Das konnte von dem Schlag auf den Kopf kommen. Oder von dem kaputten Knie. Oder es lag einfach an mir.
Ich ging weiter auf meinen unempfindlichen Füßen, und als ich zu der Tankstelle kam, sah ich die Überschrift auf der Zeitung. In riesigen schwarzen Buchstaben sprangen
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