Glücksfall
mich nicht sicher, ich habe Angst, ich fürchte mich.«
»Haben Sie es schon mit Yoga versucht? Haben Sie mal bei einem der Entspannungskurse mitgemacht?«
»Ah, Dave …«
Nach zwei Wochen sagte ich: »Dave, es tut mir leid, aber ich muss einen richtigen Arzt sprechen. Jemand, der älter ist und mehr Erfahrung hat.«
»Ich bin ein richtiger Arzt«, sagte er, »aber ich werde mit meinen Kollegen sprechen.«
Ein paar Stunden später wurde die Tür von einer Frau aufgestoßen, die meine Akte in der Hand hielt. »Ich bin Dr. Drusilla Carr.« Sie wirkte gereizt und unkonzentriert. »Dr. Kilty sagt, Sie möchten einen Arzt sprechen, der älter und erfahrener ist. Das bin ich mit Sicherheit, ich arbeite seit zweiundzwanzig Jahren in der Psychiatrie.« Das rasselte sie runter, ohne mich anzusehen, während sie immer weiter in meiner Akte blätterte. »Dr. Kilty ist ein sehr fähiger Arzt. Der Therapieplan, den er für Sie aufgestellt hat, ist genau so, wie ich ihn auch gemacht hätte. Ich habe keine Änderungen vorzuschlagen.«
»Könnten Sie mir nicht eine Elektroschocktherapie geben?«
Erst jetzt sah sie mich an. Sie schien konsterniert.
»Elektrokonvulsive Therapie gilt als letzte Option. Sie wird – manchmal, nur manchmal – in Fällen von Schizophrenie, extrem manischen Zuständen und chronischer katatonischer Depression angewendet, die gegen medikamentöse Behand lung resistent ist.«
»Meine Depression ist gegen Medikamente resistent«, sagte ich. »Die Tabletten haben meinen Selbstmordversuch nicht verhindert.«
»Sie sind erst seit vier Monaten in ärztlicher Behandlung«, sagte sie fast verächtlich. »Ich spreche von Menschen, die seit Jahren unter Depressionen leiden.«
Jahre! Allmächtiger! Jahre hiervon würde ich niemals aus halten. Konnte man das überhaupt?
»Außerdem hat die EKT viele Nebenwirkungen, insbesondere Gedächtnisverlust.« Ohne eine Spur von Ironie sagte sie: »Das können Sie vergessen.«
»Ich soll es vergessen?«
»Wir machen weiter mit den Tabletten. Es ist noch zu früh.«
Irgendwann akzeptierte ich, dass die Klinik nicht die Antwort war. Niemand hatte Schuld daran. Schuld waren allein meine Unwissenheit und meine zu hohen Erwartungen. »Wunderheilungen« gab es nicht.
Eine psychiatrische Klinik war einfach nur ein Aufbewah rungsort für zerbrechliche Menschen und – wenigstens für mich – eine Möglichkeit, in Sicherheit zu sein, sollte ich jemals wieder erwägen, mich umzubringen.
Ich wartete drei Wochen und vier Tage – bis ich meinen Nistkasten fertig hatte –, dann verließ ich die Klinik ebenso ratlos wie an dem Tag, als ich sie betreten hatte.
Ich fühlte mich nicht besser oder geheilt oder sicher, aber wenigstens konnte ich mir im Fernsehen wieder ansehen, was ich wollte. Ich vermutete, dass ich wahrscheinlich nicht noch einmal versuchen würde, mich umzubringen. Ich hatte das Gefühl, eine Botschaft aus dem All empfangen zu haben, obwohl ich an solche Sachen nicht glaubte.
Dave schien zu bedauern, dass ich ging. »Denken Sie daran, Sie können jederzeit wiederkommen«, sagte er. »Wir sind immer für Sie da.«
»Danke«, sagte ich und dachte, dass ich in einem ziem lich erbärmlichen Zustand sein müsste, bevor ich mich dazu entscheiden würde.
Man muss mir schon zugutehalten, dass ich, als ich wieder draußen in der Welt war, so gut wie alles tat, was die anderen vorschlugen, um meinen Zustand zu verbessern. Ich nahm meine Antidepressiva, ich ging einmal in der Woche zu Antonia Kelly, mittwochs und freitags machte ich Zumba, ich nahm an einem Yoga-Kurs teil – schreckliche Leute, diese Yoga-Typen, so erfüllt von sich selbst, so »spirituell« – ich probierte es mit Homöopathie und kaufte mir Daves Lieblings-CD The Wonder of Now , womit ich nichts anfangen konnte. Die Botschaft der CD war im Grunde die, dass es völlig irrelevant war, ob man schreckliche Schmerzen litt, denn es gab nur das Jetzt. Aber ich verstand nicht, wie das unerträgliche Schmerzen erträglich machte. Unerträgliche Schmerzen sind, wie das Wort sagt, unerträglich. War es nicht eigentlich viel schlimmer, wenn es im Jetzt geschah? Eine Weile lang war ich so wütend darüber, dass ich überlegte, eine eigene CD auf den Markt zu bringen: Vierzehn ausgezeichnete Methoden, das Jetzt zu vermeiden. Leider fielen mir nur zwei ein:
1.exzessives Trinken,
2.die Einnahme starker Beruhigungsmittel.
Mit Bedauern gab ich mein Vorhaben auf, doch dann heiterte ich mich damit auf, die
Weitere Kostenlose Bücher