Glücksfall
Geisteszustand machten, wäre das Problem leichter zu hand haben. Am häufigsten sagten sie: »Irgendwelche verrückten Anwandlungen, dich ins Meer zu stürzen?«
Die Depressionsleugner: Sie argumentierten, weil es so etwas wie Depression gar nicht gebe, könnte ich auch keine Beschwerden haben. Früher einmal hatte ich selbst zu dieser Kategorie gehört. Eine Untergruppe der Leugner forderte, dass man sich nicht so anstellen solle. Am häufigsten sagten sie: »Welche Gründe hast du denn, deprimiert zu sein?«
Die fortwährend um sich selbst Kreisenden: Sie jammerten, ich dürfte mich nicht umbringen, weil sie ohne mich nicht leben konnten. Häufig war ich es, die sie trösten musste. Meine Schwester Anna und ihr Freund Angelo flo gen dreitausend Meilen von New York nach Irland, damit ich ihnen die Tränen trocknen konnte. Am häufigsten sagten sie: »Weißt du eigentlich, wie viele Menschen dich lieben?«
Die Drückeberger: Erstaunlich viele Leute riefen mich nicht mehr an. Bei den meisten war es mir egal, aber es gab ein oder zwei, da machte es mir etwas aus. Sie hatten einfach Angst und befürchteten, das, was ich hatte, würde sich auf sie übertragen. Am häufigsten sagten sie: »Ich fühle mich so hilflos … oje, ist es schon so spät?« Bronagh führte diese Kategorie an – obwohl ich das damals, weil es mir einfach zu sehr wehtat, nicht zugeben konnte.
Die Wellness-Advokaten: Solche also, die alternative Heilmethoden anpriesen. Davon gab es Hunderte – sie ermunterten mich zu Reiki, Yoga, Homöopathie, Bibelstudien, Sufi-Tanz, kaltem Duschen, Meditation, Hypnose, Klosteraufenthalten, Saunakuren, Filzarbeiten, Fasten, Engelsuche oder zum ausschließlichen Verzehr von blauen Nahrungsmitteln. Jeder konnte eine Geschichte erzählen, dass die von ihm empfohlene Methode die Tante, den Vorgesetzten, den Geliebten, die Nachbarin geheilt hatte. Am schlimmsten war meine Schwester Rachel – sie verfolgte mich regelrecht. Nicht ein Tag verging, ohne dass sie mir einen Link zu einer neuen Heilmethode schickte. Darauf folgte prompt ein Anruf, weil sie sich vergewissern wollte, dass ich auch wirklich einen Termin gemacht hatte. (Und ich war so verzweifelt, dass ich etliche ihrer Tipps befolgte.) Am häufigsten sagten Wellness-Advokaten: »Der kann Wunder vollbringen.« Und dann: »Deshalb ist er so teuer. Wunder gibt es nicht umsonst.«
Oft befruchteten die Gruppen sich untereinander. Manchmal taten sich die aus der Gruppe »Lass uns drüber lachen« mit den Depressionsleugnern zusammen und erklärten mir, dass man eine Depression kraft seines Verstandes überwin den kann. Man beschließt einfach, dass es einem besser geht. (Wie man das auch bei einem Emphysem machen würde.)
Oder jemand aus der Gruppe der um sich selbst Kreisenden rief jemanden aus der Wellness-Gruppe an und klagte unter Tränen über meinen Egoismus, worauf der Gesprächs partner ihm beipflichtete und als Beispiel erzählte, ich hätte mich geweigert, zweitausend Euro für ein Saunawochenende in Wicklow auszugeben.
Oder einer der Drückeberger schlich sich herein, um einen verstohlenen Blick auf mich zu werfen, und tat sich dann mit einem Depressionsleugner zu einem Doppelangriff zusammen, bei dem beide erklärten, dem Anschein nach gehe es mir doch gut. Und das war bei Weitem das Schlimmste, das man mir antun konnte, denn ich klang wie ein Jammerlappen und voll des Selbstmitleids, wenn ich protestierte: »Aber mir geht es nicht gut, ich fühle mich wirklich hundeelend.«
Nicht einer der Menschen, die mich liebten, verstand, wie ich mich fühlte. Sie hatten keine Ahnung, und ich machte ihnen keinen Vorwurf, denn bevor ich mich so fühlte, hatte ich selbst auch keine Ahnung.
»Nein, Claire, mir geht es bestens, keine verrückte Anwandlung, mich ins Meer zu stürzen.«
Während mein Handy sich auflud, verspürte ich plötzlich eine große Erschöpfung. Mir fiel nicht ein einziger vernünftiger Schritt ein, der mir helfen würde, Wayne zu finden, und ich beschloss, einfach mal eine Pause zu machen. Ich schrieb Artie eine Nachricht:
Sind die Kinder weg?
Binnen Sekunden antwortete er.
Bella noch hier. Melde mich, wenn sie geht.
Unterdessen gab es im Haus meiner Eltern haufenweise Zeitungen und Süßigkeiten.
»Können wir ein paar Kekse bekommen?«, fragte ich.
»Hol ihr ein paar Kekse«, sagte Mum zu Margaret.
»Welche mit Schokolade«, rief ich ihr hinterher.
Wir aßen also Schokoladenkekse und blätterten die Unmengen von Zeitungen
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