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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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trotzdem war es offensichtlich, dass in Nummer fünf niemand zu Hause war. Ich würde es später wieder versuchen.
    »Wir können Ihnen helfen«, bot Cain an.
    Tief in Gedanken versunken ging ich wieder in Waynes Haus. Bisher hatte ich mit neun von Waynes zehn Nachbarn gesprochen. Ich rief mir jedes einzelne Gespräch ins Gedächtnis zurück. Hatte ich irgendeine Schwingung nicht bemerkt? War irgendetwas merkwürdig gewesen? Verdächtig?
    Nichts, ich musste mir eingestehen, dass es absolut nichts gegeben hatte.

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    M ein Handy gab ein kleines, klägliches Piepen von sich, wie ein Vogel, der darauf wartet, gefüttert zu werden – der Akku war fast leer. Wie konnte mir das passieren? Ein panikartiges Herumkramen in meiner sehr vollen Handtasche ergab, dass ich mein Ladegerät nicht dabeihatte, wahrscheinlich hatte ich es im Haus meiner Eltern liegen lassen. Anfängerfehler! Schnell suchte ich meine Sachen zusammen, verließ Waynes Haus und stieg ins Auto. Ohne Telefon konnte ich unmöglich existieren.
    Und wer kam mir entgegen, als ich gerade losfuhr? Walter Wolcott in seinem Auto! Bullig im hellen Regenmantel und weit über das Lenkrad gebeugt, füllte er den ganzen Fahrerraum aus. Kein Zweifel, er wollte die Nachbarn befragen. Fast hätte ich laut gelacht. Sie werden ihn in Stücke reißen. Besonders die Frauen von der Aktiv-Altern-Liga. Was sie an Geduld aufbieten konnten, hatten sie bereits bei mir aufgebraucht. Und vielleicht würden Cain und Daisy bei ihm denselben Trick anwenden wie bei mir und ihn gegen seinen Willen festhalten. Das hoffte ich jedenfalls.
    Wolcott war so konzentriert auf die vor ihm liegende Aufgabe, dass er mich nicht bemerkte. Und das wollte ein Privatdetektiv sein!
    Wieder überlegte ich, ob er es vielleicht war, der mich überfallen hatte. War ihm so was zuzutrauen?
    Schwer, sein Alter zu schätzen. Siebenundfünfzig, vielleicht. Oder dreiundsechzig. So in dem Dreh. Dick. Dabei kompakt. Ich war ihm schon einmal begegnet – unter welchen Umständen, ist mir komplett entfallen –, aber wir waren zusammen bei einem Ereignis (vielleicht einer Hochzeit?), und ganz unerwartet entpuppte er sich als ziemlich guter Tänzer. Leichtfüßig, trotz seiner gedrungenen Gestalt, steuerte er seine Tanzpartnerin, vermutlich seine Frau, auf altmodische, selbstbewusste und fast übermütige Weise über die Tanzfläche.
    Kurz darauf kündigte das Piepen meines Handys eine eingehende Nachricht an. Im Fahren nahm ich es in die Hand: Der Bewegungsmelder von Waynes Haus war ausgelöst worden. Wayne war nach Hause gekommen! Das Adrenalin strömte in großen Schüben in meine Blutbahnen, dass ich schon befürchtete, mein Kopf würde platzen – doch dann wurde mir das Herz schwer wie ein Stein, denn ich begriff, dass es wahrscheinlich Walter Wolcott war.
    Ich hatte das Gefühl … als wäre es eine Übertretung. Als hätte er sich Zutritt zu meinem Zuhause verschafft.
    Mit dem kaum noch funktionierenden Handy rief ich Jay Parker an. »Hat Walter Wolcott einen Schlüssel zu Waynes Haus?«
    »John Jospeh hat ihm einen gegeben.«
    Als wollte es seine ganze Abscheu ausdrücken, gab mein Handy genau in dem Moment seinen Geist auf.
    Bei meinen Eltern erwarteten mich schon Margaret und Claire. Mum hatte sie angerufen. Nachdem ich mein Ladegerät gefunden und eingeschaltet hatte, ließ ich ihre schockierten Aufschreie angesichts der Schrammen und Wunden an meinem Kopf über mich ergehen, ergab mich ihrem Drängen zu duschen und mir die Haare zu waschen, und brachte Mum dazu, mir den Scheck für Terry O’Dowd auszustellen und in einen frankierten Umschlag zu stecken.
    »Leitrim«, sagte sie verwundert. »Ich glaube nicht, dass ich jemals einem Menschen aus Leitrim begegnet bin. Du, Claire?«
    »Nein.«
    »Du, Margaret?«
    »Nein.«
    »Du, Hel…«
    »Nein!«
    »Ich glaube, du solltest ins Krankenhaus zur Notaufnahme gehen und mal deinen Kopf untersuchen lassen«, sagte Margaret.
    »Den Kopf untersuchen lassen«, wiederholte Claire und prustete vor Lachen. »Das würde auch nichts nützen. Wie fühlst du dich denn heute, Helen? Irgendwelche verrückten Anwandlungen, dich ins Meer zu stürzen?«
    Stimmt, ja, richtig.
    Das letzte Mal, als es mir nicht gut ging, ich deprimiert war und mich umbringen wollte, konnten die Reaktionen meiner Freunde und Verwandten in verschiedene Kategorien eingeordnet werden:
    Die »Lass uns drüber lachen«-Kandidaten: Claire war ihre Anführerin. Sie hofften, wenn sie Witze über meinen

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