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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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genauer an. »Was ist mit Ihrer Stirn passiert?«
    »Knutschfleck«, sagte ich.
    Mein Schädel drohte zu bersten, aber ich bemerkte es kaum noch … und … Moment mal … was war das mit seiner Miene? Sollte das ein … Grinsen sein?
    Ich neigte fragend den Kopf. »Was?«
    »Na ja …« Er grinste tatsächlich! Er saß da und grinste!
    »Waren … Sie das?«
    »Nicht ich persönlich «, sagte er, und das selbstgefällige Grinsen breitete sich weiter über sein Gesicht aus. Es war das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah.
    »Nicht Sie persönlich? «, bohrte ich. »Aber …?«
    »Einer meiner Mitarbeiter.«
    »Auf Ihre Bitte?«
    »Auf meine Anweisung«, korrigierte er ein bisschen bors tig. Harry Gilliam äußerte keine Bitten, er gab Anweisungen.
    »Aber … warum?«
    »Sie kriegten kalte Füße, und ich wollte, dass Sie weiter nach Wayne suchen, und wenn man möchte, dass Helen Walsh etwas tut, dann ist es am besten, man rät ihr davon ab.«
    »Sie hätten mich ernstlich verletzen können!«
    »Keineswegs!« Er wehrte meinen Einwand lässig ab. »Mein Mitarbeiter ist ein Künstler. Er weiß eine Situation aufs Feinste einzuschätzen. Und …«, er unterbrach sich und kicherte, dass es mir kalt den Rücken runterlief, »… wenn man bedenkt, dass er einen Gewehrkolben benutzt hat, hätte es auch viel schlimmer ausgehen können.«
    Sprachlos starrte ich ihn an. Eine Vielfalt von Gefühlen – Empörung, Schock, Ungläubigkeit, Rachegelüste – zog durch mich hindurch, und dann fühlte ich plötzlich nichts mehr. Wen kümmert’s? Was geschehen ist, ist geschehen, kommen wir zum Wesentlichen. »Und wo ist Wayne? Sie wissen etwas, und das sollten Sie mir jetzt erzählen. Nach diesem Angriff schulden Sie mir das.«
    Plötzlich war die Luft aus ihm raus, traurig nahm er einen Schluck von seiner Milch. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo Wayne ist.«
    »Aber …« Ich verstand das nicht. »Was soll das dann? Welches Interesse haben Sie an der Sache?«
    »Ich habe … investiert«, gestand er, fast schüchtern.
    »Sie? Sie haben Ihr Geld in die Laddz-Konzerte gesteckt? Ein Gangster wie Sie?«
    »Die Zeiten ändern sich, Helen. Die Zeiten ändern sich. Für einen gewöhnlichen, anständigen Geschäftsmann wie mich ist es nicht mehr so leicht. Ich muss diversifizieren.«
    »Sie wissen also nichts, was mir nützen könnte?« Ich starrte ihn an, und mir kam die Erkenntnis, dass Harry Gilliam so verzweifelt und ahnungslos war wie alle anderen auch. Nur ein bisschen finsterer.
    »Kopf hoch, Helen«, sagte er. »Sie müssen weitersuchen und ihn finden. Sorgen Sie dafür, dass Wayne Diffney morgen Abend auf der Bühne steht.«
    »Was sonst?«
    »Sonst werde ich sehr böse.«
    Ich grinste ihn hämisch an. Morgen Abend wäre ich nicht mehr da, und er könnte so böse sein, wie er wollte. Er war offenbar verstört von meiner Reaktion und fragte: »Was grinsen Sie so?«
    »Wiedersehen, Harry.«
    Als ich zu meinem Auto kam, entdeckte ich zu meinem höchsten Erstaunen einen großen Ochsen im beigefarbe nen Regenmantel, der auf dem Gehweg herumtrottete. Walter Wolcott! Mit vor Konzentration gerunzelter Stirn las er die Namen der Geschäfte, offenkundig auf der Suche nach einem ganz bestimmten Laden. Ich beobachtete, wie er vorbeitapste – er bemerkte mich nicht –, und als er das kaputte Neonschild mit dem Namenszug Corky’s sah, stieß er die Tür mit seiner fleischigen Hand auf und marschierte rein. Ich konnte natürlich nicht wissen, ob er da einen Termin hatte oder ob er auf gut Glück gekommen war. Aus seinem ziellosen Gebaren schloss ich allerdings, dass Letzteres der Fall war. Trotzdem, irgendwie hatte er eine Verbindung zwischen Wayne und Harry Gilliam hergestellt, und das beeindruckte mich. Vielleicht schaffte er es ja, Wayne zu finden.
    Vielleicht schaffte er es, und ich nicht.
    Welche Schande. Ja, gut, ich plante zwar, aus dem Leben zu scheiden, aber beruflichen Stolz hatte ich trotzdem.
    Ich ging zum Auto, in Gedanken noch ganz mit Wayne beschäftigt, und als mein Handy klingelte und ich Antonia Kellys Nummer sah, wusste ich im ersten Moment nicht, wer das war. Dann fiel es mir ein.
    »Helen? Sie würden gern mit mir reden?«
    »Hallo, Antonia. Ich meine, wenn es Ihnen passt. Ich weiß, Sie haben viel zu tun …«
    »Ist es dringend, Helen?«
    Ich dachte an meinen Besuch in der Eisenwarenhandlung. »Nein.« Ich hatte meinen Plan und würde ihn nicht aufgeben. Am Abend zuvor hätte Antonia mich vielleicht noch retten

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