Glücksfall
könnte, ich bin selbst keine große Leserin. Der Grund, warum ich das Buch auf dem Nachttisch erkannte, war der, dass der Autor, der ständig im Fernsehen auftrat, die lächerlichste Frisur hatte, die ich je an einem Menschen gesehen hatte, egal ob Mann oder Frau. Sein Haar war aus dem Gesicht geföhnt und ringelte sich in vielen kleinen Locken, reihenweise Locken, die immer größer und voller wurden, je weiter sie sich hinten am Kopf befanden. Man sollte denken, es sei anatomisch unmöglich, dass ein Mensch einen solchen Kopf hatte, so hoch und so breit, mit einem solchen Hinterkopf.
Artie hatte mich auf die Frisur dieses Menschen aufmerksam gemacht, und jetzt bereitete es uns riesigen Spaß, im Bett zu liegen und den überreichlichen Haarschmuck des Mannes auf YouTube zu bestaunen.
Auf Waynes Nachttisch lag außerdem eine CD, The Wonder of Now , ein Produkt der derzeit modischen New-Age-Welle mit spirituellem Zeug. Ich war sehr versucht, die CD zu nehmen und an die Wand zu schmeißen. Auf meiner »Tonnenliste« stand sie ganz oben. Es beruhigte mich etwas, als ich sah, dass die Zellophanhülle noch drumrum war und Wayne sich die CD wenigstens nicht angehört hatte.
Auf der Fensterbank standen zwei Duftkerzen, beide zur Hälfte runtergebrannt. Es gab nur zwei Gründe, warum ein Mann Duftkerzen in seinem Zimmer hatte: Entweder er hatte regelmäßig Sex oder er meditierte. Was traf bei Wayne zu?
»Ich finde dieses Haus schauderhaft«, sagte Jay und betrachtete die schönen Wände mit unbehaglichem Blick. »Ich habe das Gefühl, es … beobachtet mich.«
Das zweite Schlafzimmer war klein und wirkte unbenutzt, alle vier Wände waren im Ton Stille Verzweiflung , die Decke in Vierzig Tage in der Wüste gestrichen. Kleiderschrank und Schubfächer waren leer. Hier gab es nichts für mich.
Das kleinste Zimmer wurde als Büro genutzt. Von unschätzbarem Wert wäre jetzt natürlich ein Kalender. Wie wunderbar waren die Zeiten, als eine verschwundene Person ihren Kalender in Buchform samt Stift auf dem Schreibtisch liegen hatte, mit Einträgen in ordentlicher Handschrift wie: »Kneipe, 11 Uhr morgens. Treffen mit Waffenhändler.« Aber heutzutage sind alle Kalender elektronisch. Komplett nutzlos. Was immer Wayne vor seinem Verschwinden unternommen hatte, war mit ihm verschwunden, im Innenleben seines Mobiltelefons.
Auf dem Schreibtisch stand ein Computer und lockte mich mit seinen Geheimnissen. Ich drückte wiederholt auf die Tasten und wartete auf das Hochfahren, und währenddessen schweifte mein Blick über die Wände, die Schubladen, die Ordner, und suchte den kleinen gelben Zettel, auf dem Wayne sein Passwort notiert hatte.
Aber es fand sich nichts, und nach einer Weile verweigerte mir der Rechner weiteren Zugang.
Ich saß am Tisch und drückte ungeduldig die Maus, hinter mir verströmte Jay Unruhe.
»Mach seine Mails auf«, sagte er.
»Das geht nicht. Alles ist mit einem Passwort geschützt. Was könnte sein Passwort sein?«
»Weiß nicht. Wichser?«
»Komm schon, denk nach.« Mein Blick glitt durchs Zimmer und suchte Anhaltspunkte. »Was sind seine Vorlieben? Wir haben nur drei Versuche. Nach drei falschen Passwörtern fährt sich das System runter, und wir kommen überhaupt nicht mehr weiter. Also denk gründlich nach. Was ist ihm wichtig?«
»Bier?«
»Es müssen sechs Buchstaben sein.«
»Schokoladenkuchen.«
»Sechs, habe ich gesagt.«
»Mich darfst du nicht fragen, ich kenne ihn nicht so gut. Du musst die anderen Laddz fragen. He, da klingelt ein Telefon.«
Es war meins. Ich nahm es aus der Tasche und sah aufs Display. Ein Anruf von Artie. Ich warf Jay einen verstohlenen Blick zu. Ich wusste nicht, warum, aber ich konnte mit Artie nicht sprechen, während Jay zuhörte. Ich würde ihn später anrufen.
Ich steckte das Handy wieder in meine Tasche und nahm einen der Ordner von dem Regal an der Wand. Kontoauszüge, Kreditkartenabrechnungen, alles ordentlich abgeheftet, das musste man Wayne lassen. Mal was anderes als einen Mülleimer nach nützlichen Informationen zu durchwühlen, und niemand , das muss auch mal deutlich gesagt werden, schickt seine Papiere durch den Reißwolf, trotz aller Warnungen vor Identitätsdiebstahl.
Waynes Unterlagen waren faszinierend.
Seine Hypothekenrückzahlungen? Pünktlich geleistet. Glückspilz.
Dispokredit? Im Rahmen.
Kreditkarten? Drei Stück, zwei bis zur Grenze ausgeschöpft, wie bei jedem normalen Menschen. Für weiß der Himmel wie lange hat er immer nur
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