Glücksfall
von einem Stück Schokoladencremerolle aus dem Abfalleimer. »Er soll die Kohlehydrate weglassen. Er muss noch drei Kilo abnehmen.«
Er starrte mich an, in seinem Gesicht das Unverständnis eines Mannes, der noch nie Gewichtsprobleme hatte. Jay Parkers Stoffwechsel war so schnell wie ein kenianischer Läufer: Was immer er aß – und er ernährte sich nicht gut, wenigstens früher nicht –, er nahm nie zu.
Mit raschem Blick untersuchte ich den Inhalt des Kühlschranks. »Käse, Butter, Bier, Wodka, Cola light, Oliven, Pesto. Nichts Bemerkenswertes.« Ich knallte die Tür zu und machte mich an den Tiefkühlschrank. »Wie hast du mich gefunden?«
»Habe bei deinem Nachbarn geklopft. Er hat mir von deiner Wohnungskrise erzählt. Ich dachte, vielleicht bist du bei einer Freundin untergekommen. Dann fiel mir ein, dass du keine hast. Also habe ich Mammy Walsh angerufen, und die hat mir die ganze Geschichte erzählt. Mochte mich immer gern, Mammy Walsh.«
Mir kam die Galle hoch. Er hatte kein Recht, Mum so zu nennen. Es machte mich wütend, dass er die Kosenamen der Menschen ausschnüffelte. Er kriegte es in Sekundenschnelle heraus, da er ständig irgendwelche Informationen aufschnappte, die ihm dienen konnten, und nutzte sie dann schamlos aus, sodass alle dachten, er gehöre dazu, obwohl das nicht überhaupt nicht der Fall war.
Wessen Schuld war es denn, dass ich keine Freunde hatte?
Grimmig fuhr ich mit meiner Suche fort. Im obersten Fach des Tiefkühlschranks war eine riesige Tüte Erbsen. Warum immer Erbsen? Alle hatten sie Erbsen im Tiefkühlschrank! Dabei waren Erbsen wirklich das Letzte. Vielleicht brauchte man sie in Notfällen? Wenn jemand zum Beispiel die Treppe runterfiel und einen dreifachen Oberschenkelknochenbruch hatte. »Komm, setz dich, wir legen dir eine Tüte Erbsen auf die Stelle, und am Dienstag kannst du wieder Zumba machen.« Im nächsten Fach lagen vier Pizzen. Weiter unten fand ich Brot, Kabeljaufilet, Kartoffelecken. Nichts Verdächtiges.
Dann die Küchenschränke. Tomaten in Dosen, Pasta, Reis, es hätte nicht normaler sein können.
»Hast du noch deine Tonnenliste?«, fragte Jay.
»Hhmm.«
»Steh ich immer noch ganz oben?«
»Ganz oben? Du? Du bist gar nicht drauf.«
Auf meiner schönen Tonnenliste standen Dinge, die mir wichtig waren. Die ich verabscheute, das schon. Und zwar so sehr, dass ich sie in die Tonne hauen wollte, daher der Name. Aber sie bedeuteten mir etwas. Jay Parker bedeutete mir nichts.
»Es tut mir leid«, sagte er.
»Was tut dir leid?«
»Alles.«
»Was, alles?«
»Einfach alles.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Können wir nicht …«
Ich hob meine Hand und brachte ihn zum Verstummen. Ich musste noch einmal nach oben in das kleine Zimmer. Mir war etwas entgangen. Ich wusste nicht, was, aber meine Intuition verlangte, dass ich noch einmal nachsah, und tatsächlich, hinter dem Vorhang (ich will lieber gar nicht erst von Waynes Vorhängen anfangen, so fabelhaft, wie die waren) fand ich es. Ein Foto. Darauf Wayne und ein Mädchen. Ihre Wangen waren aneinandergepresst, die beiden waren sonnengebräunt und lächelten. Im Hintergrund der Eindruck von Meereslicht, Sanddünen und Strandhafer. Es sah ein bisschen nach Abercrombie-&-Fitch aus – vielleicht trugen sie sogar Kaschmir-Kapuzenpullis in Pastellfarben –, aber nicht gekünstelt. Ich vermutete, dass sie das Bild mit Selbstauslöser gemacht hatten. Waynes Lächeln schien aufrichtig glücklich. Das Mädchen hatte Sommersprossen, lebhafte blaue Augen und zerzaustes, sonnengebleichtes Haar. Das war Gloria. Ich war bereit, mein Leben drauf zu verwetten.
Ich nahm das Foto mit nach unten und zeigte es Jay. »Wer ist das?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Die geheimnisvolle Gloria?«
»Genau, was ich denke.« Ich steckte das Foto in meine Handtasche. »Übrigens, was für ein Auto fährt Wayne?«
»Einen Alfa Romeo.«
»Gut. Machen wir einen kleinen Spaziergang in der Nachbarschaft, mal sehen, ob wir ihn finden.«
Kaum waren wir an drei Häusern vorbeigegangen, als Jay sagte: »Da steht er.«
»Bist du dir sicher? Es könnte mehr als einen schwarzen Alfa Romeo in Dublin geben.«
Er legte die Hände als Schild an die Schläfen und spähte in den dunklen Innenraum. »Eindeutig. Da liegt sogar eins von seinen blöden Büchern auf dem Sitz.«
Ich sah mir das Buch an. Ein ganz normaler Thriller. Überhaupt nicht blöd.
Waynes Auto gefiel mir. Es war italienisch, folglich
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