Glücksfall
Ansage mit, dass ich außerhalb der Geschäftszeiten anrief. Hatte Wayne einen Termin machen wollen, um sein Haar in Ordnung bringen zu lassen? Wollte er sich eine Perücke kaufen? Lief er zurzeit mit einem Haupt voller kastanienbrauner Locken in der Stadt herum? Ich würde morgen in dem Laden anrufen.
»Offensichtlich war er heute Morgen noch hier«, sagte ich zu Jay. »Wieso glaubst du überhaupt, dass er abgehauen ist? Woher willst du wissen, dass er nicht einfach einen Tag blaumacht?«
»Es hat sich schon seit ein paar Tagen angebahnt. Glaub mir, er ist weg.«
Plötzlich sprach eine andere Stimme auf dem Anrufbeantworter. »Hi, Wayne, Gloria hier.« Sie klang süß und erfreut. »Ich habe gute Nachrichten.« Dann verstummte sie, als wäre ihr plötzlich bewusst geworden, dass es vielleicht nicht so geschickt war, die Details der guten Nachrichten auf ein Band zu sprechen, das jeder abhören konnte. »… Kleinen Moment, ich melde mich gleich noch einmal. Auf dem Handy.«
»Wer ist Gloria?«, fragte ich Jay.
»Keine Ahnung.«
»Welche guten Nachrichten hatte sie?«
»Weiß ich auch nicht.«
»Warum sollte er verschwinden, wenn er gerade gute Nachrichten erhalten hat?«
»Ich weiß es nicht. Deswegen bezahle ich dir ja diese exorbitante Summe.«
»Wie lautet ihre Nummer? Schnell, bevor die nächste Nachricht abgespielt wird.«
»Nummer unterdrückt«, sagte Jay.
Ich glaubte ihm nicht. Ich musste es selbst überprüfen, aber er hatte recht. Nummer unterdrückt. Mist.
»Um wie viel Uhr hat sie angerufen?«
»Zehn Uhr neunundvierzig.«
Noch eine letzte Nachricht war auf dem Band, aber das war keine Nachricht, sondern nur das Klicken von einem Handy, das ausgedrückt wurde. Das war um 11.59 Uhr. Ich schrieb die Nummer auf. Vielleicht war es unbedeutend, aber wer weiß.
Endlich – endlich! – sagte die automatische Ansagestimme: »Keine neuen Nachrichten.«
»Also los!« Ich stürmte die Treppen hoch, immer zwei Stufen auf einmal.
Ins Schlafzimmer – wieder sehr schöne Wandfarben, eine Wand Schorf , die anderen drei Schimmel , die Decke Gemetzel – eine Atmosphäre verworrener Energie. Socken und Unterwäsche hingen aus einer Kommodenschublade, die Tür des Kleiderschranks stand offen, einige Bügel klapperten leer auf der Stange. In der Ecke unter dem Fenster war schwach ein koffergroßes Rechteck im Staub zu sehen. Er hatte nicht genug für eine lange Abwesenheit mitgenommen, aber anscheinend hatte er eine Tasche gepackt.
Also eher unwahrscheinlich, dass er sich umgebracht hatte. Wer packt schon frische Unterwäsche ein, wenn er vorhat, sich im Alkohol zu ersäufen? (Andererseits – irgendwas packt man schon ein, aber dazu kommen wir noch.)
Die Möglichkeit, dass er entführt worden war, wurde dadurch jedoch nicht ausgeschlossen. Ein Kidnapper könnte ihm möglicherweise erlauben, frische Unterwäsche mitzunehmen. Im Ernst, wenn jemand öfter Leute entführte, könnte er durch üble Erfahrung gelernt haben, wie wichtig es ist, seinen Gefangenen frisch und reinlich zu halten. Ohne die unangenehmen Details zu erörtern – frische Unterwäsche konnte sehr willkommen sein.
Allerdings gab es keinerlei Anzeichen von einem Kampf. Waynes Schlafzimmer war weder durchwühlt noch besonders unordentlich – einfach normal. Sein Bett war gemacht, aber die Bettdecke war nicht so glatt gestrichen, dass man daran einen Ordnungsfanatiker hätte erkennen können.
»Hat er eine Putzfrau?«, fragte ich Jay.
»Keine Ahnung.«
Die Staubschicht auf dem Fußboden deutete ich als Hinweis, dass er keine hatte, was hieß, dass es eine Person weniger zu befragen gab, und das konnte gut oder schlecht sein, je nachdem wie ich das betrachten wollte.
Ich zog die oberste Schublade des Nachttischs auf; sie enthielt den üblichen Kram: Münzen, Haare, zerdrückte Quittungen, alte Kugelschreiber, Gummibänder, alte Batterien, Adapter, zwei Feuerzeuge – ein grünes und eins mit dem Kolosseum in Rom drauf –, eine Tube Bonjela-Gel und ein paar Tablettenpackungen – Gaviscon, Clarityn, Cymbalta. Nichts Besonderes.
Ich sah mir schnell die Bücher auf dem Nachttisch an. Nichts Geringeres als der Koran und der Roman des letzten Booker-Preisträgers – langsam begriff ich, warum es zwischen Wayne und Jay nicht so gut klappte. Jay brüstete sich damit, das einzige Buch, das er je gelesen habe, sei The Art of War . Und selbst das ist gelogen. Er hat es gekauft , aber er hat es nicht gelesen . Nicht, dass ich ihn kritisieren
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