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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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er in einem Penthouse mit weißen Ledersofas lebt. Als wäre das ein Gesetz.
    Wayne Diffneys Haus stand in Mercy Close. Hinter dem Namen verbarg sich eine verschwiegene Sackgasse, die von der Küstenstraße im Vorort Sandymount abging. Insgesamt gab es nur zwölf Häuser, auf jeder Seite sechs, was die Befragung der Nachbarn überschaubar machte.
    Falls ich den Auftrag annahm.
    Es waren kleine, aber allein stehende Häuser, jedes mit einer niedrigen Mauer und einem eigenen kleinen Vorgarten. Vage Einflüsse von Art déco – hohe Fenster mit Bleirahmen, Tulpen-Glasbilder über der Haustür.
    Jay zog den Schlüssel heraus und wollte sofort aufschließen, aber ich sagte, er solle klingeln.
    »Vielleicht ist Wayne wieder da«, sagte ich. »Zeig Respekt.«
    Nachdem wir sechsmal geklingelt hatten und niemand an die Tür gekommen war, nickte ich Parker zu. »Also mach.«
    »Danke.« Er stieß die Tür auf, und ich wartete, dass die Alarmanlage ansprang, aber es blieb still.
    »Keine Alarmanlage?«, fragte ich.
    »Doch, er hat eine, aber sie war vorhin auch nicht eingeschaltet, als ich es probiert habe.«
    Wayne war also weggegangen, ohne die Alarmanlage einzuschalten. Welche Rückschlüsse ließ das auf seinen Geisteszustand zu?
    »Und du bist nicht daraufgekommen, sie einzuschalten, als du gegangen bist?«
    »Wieso ich? Ich bin doch nicht vom Sicherheitsdienst.«
    Komisch, als ich meine eigene geliebte Wohnung an dem Tag zum letzten Mal verließ, hatte ich die Alarmanlage einschalten wollen. Ich wollte die Wohnung so gut wie irgend möglich beschützen, wenn ich schon nicht mehr da sein konnte. (Allein die Tatsache, dass der Strom abgestellt worden war, hinderte mich daran.) Mein Herz fühlte sich an, als wollte es brechen, wie bei einer Frau in einem miesen Fernsehfilm, die Krebs hat und auf den Tod wartet und ihrer geliebten elfjährigen Tochter mit brüchiger Stimme Ratschläge fürs Leben gibt. »Dass du mir nie …« Schlimmes Husten. »Meine Süße, dass du mir nie … nie braune Schuhe zusammen mit einer schwarzen Handtasche trägst.« Hust-hust, hust-hust. »Oder besser, trag überhaupt nie braune Schuhe, sie sind grässlich.« Hust-hust. »Mein süßer Schatz, ich muss jetzt sterben, aber denk dran …« Husten aus tiefster Kehle. »Denk dran, dass du nie zum Aerobic gehst, wenn du gerade vom Friseur kommst. Deine Haare krausen sich dann nur.« (Fernsehfilme spielten immer in einer Zeit, als die Leute noch Aerobic machten.)
    Jay hob die Post und Werbezettel auf, die auf der Matte lagen, und fing gleich an, die Umschläge aufzureißen.
    »He«, sagte ich, »es ist gegen das Gesetz, fremde Post zu lesen.«
    Aber ihm war das egal, und mir ehrlich gesagt auch, denn ich war überwältigt von dem schönen Haus, in dem Wayne wohnte. In Anbetracht meines eigenen jüngsten Verlusts war es nicht verwunderlich, dass ich voller Hausneid war, aber Waynes Haus war wirklich etwas Besonderes. Eher klein, aber erstaunlich geschmackvoll.
    Die Wände waren mit Farben von Holy Basil gestrichen. Meine Güte, wie ich nach Holy-Basil-Farben gierte. Ich selbst hatte sie mir nicht leisten können, aber ich kannte ihre Farbskala in- und auswendig. Der Eingangsbereich war in Schlamm gehalten, das Treppenhaus in Treibholz und das Wohnzimmer – wenn ich mich nicht furchtbar täuschte – in Toter Wal . Farben, die mir persönlich sehr zusagten. Ich ging unverzüglich ins Wohnzimmer zu der Anrichte – ein wunderbares Möbelstück, das in die Nische neben dem hübschen kleinen Kamin aus den Dreißigerjahren eingebaut war – und riss die Schubladen eine nach der anderen auf. Es dauerte nicht länger als eine halbe Sekunde, bis ich ein kleines Büchlein auf die Platte legte und zu Jay sagte: »Na, hier hätten wir seinen Pass.«
    Jay wurde rot. »Wie habe ich den bloß übersehen können?«
    »Er ist also noch im Lande.« Oder irgendwo auf den Britischen Inseln. Man kann über die Reisefreiheit innerhalb der EU sagen, was man will, aber wenn man in einem Land lebt, das nicht zum Schengen-Abkommen gehört, kann man ohne Pass nirgendwo hin. »Das macht alles um vieles leichter.«
    »Und wenn er einen gefälschten Pass hat?«, fragte Jay.
    »Woher würde er einen gefälschten Pass bekommen? Du hast gesagt, Wayne sei ein ganz normaler Bürger.«
    »Er könnte ein raffinierter Verbrecher sein, ein Spion, ein Maulwurf.«
    Aber das war unwahrscheinlich.
    Ich sah mir sein Passfoto an. Sein Haar – mit normaler Frisur – war hellbraun, und sein

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