Glücksfall
kennen Sie ihn?«
»Seit mindestens fünfzehn Jahren. Eher zwanzig. Wir waren zusammen bei den Laddz.«
»Ich habe gehört, er arbeitet manchmal für Sie?«
»Oft sogar. Meistens bei den Produktionen. Wir produzieren überwiegend in der Türkei, in Ägypten und im Libanon.«
»Angenommen, Wayne benutzt Geldautomaten oder seine Kreditkarten, dann finden wir seinen Aufenthaltsort am schnellsten, wenn wir seinen Computer öffnen können. Haben Sie eine Ahnung, wie sein Passwort lautet?«
John Joseph neigte den Kopf zur Seite, und seine Augen bekamen einen verträumten, in die Ferne gerichteten Ausdruck. »Ich denke wirklich nach«, sagte er. »Aber durch das Botox, zu dem Jay mich überredet hat, sieht es aus, als wäre ich hirntot. Ich würde die Stirn runzeln, wenn ich könnte.«
Das entlockte mir kein Lächeln, aber amüsiert war ich doch.
Nach kurzer Zeit schüttelte er den Kopf. »Nein. Keine Ahnung. Tut mir leid.«
»Es ist sehr wichtig. Wenn Ihnen irgendetwas einfällt, melden Sie sich bei mir. Ich gebe Ihnen meine Karte.«
Es war deprimierend, aber ich musste die Änderungen auf der Visitenkarte mit dem Kugelschreiber vornehmen. »Die Büronummer gibt es nicht mehr.« Ich strich sie aus. »Und die Privatnummer hat sich geändert.« Ich schrieb meine Festnetznummer auf – meine ehemalige Festnetznummer, fiel mir da ein, mein Gott, es war entsetzlich. Ich schrieb die Festnetznummer meiner Eltern hin.
»Ich sollte mir neue Visitenkarten drucken lassen …«, sagte ich vage. Es war hoffnungslos. »Und kann ich Ihre Nummer haben?« Er gab mir eine Handynummer – nur eine. Leute wie er haben normalerweise mindestens vier Mobilnummern und jede Menge Festnetz- und Büronummern, aber er gab mir nur diese eine, und das war schließlich auch genug, wenn ich ihn erreichen wollte.
»Gut, John Joseph, Sie waren der Letzte, der mit Wayne gesprochen hat. Sie haben ihn gestern Abend angerufen? Das ist sechsundzwanzig Stunden her. Wie wirkte er auf Sie?«
»Nicht besonders gut … Ihm ist das Comeback ein Gräuel. Er sagt, die Boygroup-Zeit liegt weit zurück, es ist ihm peinlich, die Lieder zu singen, er schafft es nicht, Diät zu halten, und er wird niemals in die Bühnenkostüme passen.«
»Sie waren also nicht überrascht, als er heute Morgen nicht zur Probe kam?«
»Doch, überrascht war ich schon. Gestern Abend hatte er mir versprochen zu kommen. Ich habe ihm geglaubt.«
»Sind Sie um ihn besorgt?«
»Inwiefern? Sie meinen, dass er sich etwas …?«
»Ja, genau, dass er sich etwas antun könnte.« Besser, das Kind beim Namen zu nennen, ich hatte nicht die ganze Nacht Zeit.
»Um Gottes willen, nein, so schlimm ging es ihm nicht.«
»Hätte jemand ihn entführen können?«
John Joseph schien überrascht. »Wer sollte einen wie ihn denn entführen?«
»Was war das Letzte, was er gesagt hat?«
»›Wir sehen uns morgen früh.‹«
»Nicht gerade sehr erhellend. Die nächste Frage liegt auf der Hand, aber haben Sie eine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte?«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber mit Sicherheit kein Luxushotel oder so, Wayne ist da ein bisschen … eigen …«
»Ich habe Jay schon gefragt, und er war sich nicht sicher, aber Sie können mir bestimmt eine Auskunft geben.«
»Fragen Sie nur«, sagte John Joseph.
»Hat Wayne eine Freundin?«
»Nein.«
Er log.
Ich weiß nicht, woher ich das wusste, vielleicht hatte er zu schnell geantwortet, oder seine Pupillen hatten sich zusammengezogen, aber irgendeine unterbewusste Aussage hatte ich mitgekriegt.
»Verbergen Sie etwas?«
»Nein, nichts.« In der mittelalterlichen Beleuchtung war es schwer, etwas zu erkennen, aber John Joseph sah aus, als wäre er blass geworden. Das Schweigen zwischen uns zog sich in die Länge, und entgegen allen Regeln, die ich gelernt hatte, war ich diejenige, die es brach.
»Gloria.«
»Wer ist Gloria?« In seiner hilflosen Abwehrhaltung tat er mir schon wieder leid.
»Sie wissen nicht, wer Gloria ist?«
»Nein.«
»Dann sollte ich Ihnen vielleicht ein Foto zeigen. Damit Sie sich erinnern.« Ich kramte in meiner Handtasche und fand das Foto von Wayne und dem Mädchen. »Hier«, sagte ich.
Er warf einen kurzen Blick darauf und sagte dann: »Das ist Birdie.«
»Wer?«
»Seine ehemalige Freundin. Birdie Salaman.«
»Nie von ihr gehört.«
»Sie gehört nicht zur Szene. Ist nicht in dem Business, das wir Showbusiness nennen.«
Nein, bitte, rede nicht so.
»Sie haben sich getrennt, weiß nicht
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