Glücksfall
ich sie dem Tuch – wenn es nur etwas breiter oder länger wäre oder mehr Seide enthielte oder ein echtes von Alexander McQueen wäre statt einer billigen Kopie, dann würde es klappen.
Wo waren wir …?
»Hast du verstanden, was ich gesagt habe?«, sagte ich zu Jay. »Ich muss in Waynes Haus eine Kamera installieren. Und ich will einen Peilsender an seinem Auto anbringen.«
»Jetzt?«
»Wann denn sonst? In einem Monat? Jede Sekunde zählt.«
»Okay.« Er klang müde und widerstrebend.
»Erst müssen wir zu meinen Eltern fahren und die Sachen holen.«
»Ah, nein, Helen, es ist drei Uhr morgens. Um sieben muss ich am Hafen sein und die Merchandising-Produkte für die Laddz beim Zoll abholen. Da ist viel zu tun, du solltest mal die Papiere sehen, und die Spürhunde, die da überall rumrennen und ihre schmutzigen Pfoten an deinem Anzug abwischen, und du musst eine Kiste nach der anderen aufmachen und zeigen, dass du keine kleine Chinesin ins Land schmuggelst. Lass uns die anderen Wayne-Aktionen danach machen.«
»Und wenn er inzwischen zurückkommt, und wir verpassen ihn?«
»Gerade bin ich so erledigt, dass es mir völlig egal ist.«
»Aber …«
»Ich sage, wir machen für heute Nacht Schluss, und schließlich bin ich derjenige, der dich bezahlt.«
»Wo du es erwähnst … Ich weiß noch nicht, ob ich den Auftrag annehme, aber wenn, dann sind das meine Bedingungen.« Ich listete sie für ihn auf, und zu meiner Überraschung (von der beunruhigenden Sorte) war er ohne jeden Widerspruch einverstanden. Er feilschte nicht einmal.
»Bist du auch sicher, dass du verstanden hast?«, sagte ich. »Eine Woche Honorar. Im Voraus. In bar.« Ich betonte jedes Wort. »Und ich meine echtes Geld, keine Benzingutscheine.« So was Ähnliches war mir nämlich mal passiert, da ging es um einen Sorgerechtsfall. Ich hatte neununddreißig Stunden auf einem Baum zugebracht und mir die Milz verkühlt, und am Schluss wurde ich für meine Bemühungen mit Feuerholz im Wert von fünfhundert Euro entlohnt.
10
K aum hatte ich den Schlüssel ins Schloss gesteckt, als Mum im Nachthemd und mit Lockenwicklern im Haar oben an der Treppe erschien. »Es ist zehn nach drei. Morgens. « Sie kam die Treppe runter, und ich war wie geblendet von ihrem durch eine dicke Schicht Nachtcreme fettig glänzenden Gesicht. »Wo warst du?«
»Unterwegs mit Jay Parker. Danke übrigens, dass du ihm gesagt hast, wo er mich finden kann.«
»Hintergehst du Artie?«
»Wir waren nicht zum Vergnügen unterwegs. Wir waren arbeiten. Du wirst nicht glauben, wen ich heute Nacht getroffen habe. Aber du darfst es niemandem erzählen. Schwöre es bei der roten Gucci-Tasche des Papstes.«
»John Joseph Hartley und Zeezah.«
»Woher weißt du das?«
»Jay Parker hat mir erzählt, dass er die Laddz managt, also habe ich meine Schlüsse gezogen.«
»Ich war bei ihnen zu Hause.«
Aber das mit den irischen Wolfshunden und dem Geweih- Kronleuchter wusste sie schon. Eine ganze Ausgabe des RSVP Magazine war dem Thema gewidmet gewesen. Keine Ahnung, weshalb ich es nicht mitgekriegt hatte.
»Jay hat gesagt, er besorgt mir Karten für die Premiere.«
»Ach, Mum …«
»Was?«
»Dann denken die doch, ich bin unprofessionell.« Außerdem gab es vielleicht gar keine Laddz-Konzerte, wenn Wayne nicht wieder auftauchte.
»Ich habe mit Claire gesprochen.« Meine älteste Schwester. »Und sie hat gesagt, sie kommt nicht mit.«
Das war nicht unbedingt eine Überraschung. Claire hatte sehr, sehr viel zu tun. Außerdem entsprach es nicht ihrem Wesen, jemandem einen Gefallen zu tun. Manche behaupteten, wir seien uns ähnlich.
»Dann habe ich mit Margaret gesprochen, und sie hat gesagt, sie würde mitkommen, wenn ich keinen anderen finde.«
Margaret, die zweitälteste nach Claire, war ebenfalls sehr beschäftigt – sie hatte zwei Kinder, Claire drei –, aber sie hatte ein ausgeprägtes Pflichtgefühl.
»Ich will nicht mit Margaret gehen«, sagte Mum.
»Aber sie ist deine Lieblingstochter.«
»Sie tanzt wie ein Onkel bei einer Hochzeit, sie würde mich bloß blamieren.«
»Du bist auch nicht gerade Ginger Rogers.«
»Ich bin eine ältere Frau, niemand erwartet von mir, dass ich Pirouetten drehe. Also, ich weiß auch nicht, warum, aber ich würde am liebsten mit dir gehen.«
»Frag Rachel«, sagte ich. »Oder Anna.« Meine anderen Schwestern. Wir waren insgesamt fünf.
»Scheinbar hast du vergessen, dass sie in New York leben.«
»Frag sie trotzdem. Man weiß
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