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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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dann erkannte ich, dass es eine Frau war, ungefähr so alt wie ich. Sie hatte irgendetwas Besonderes an sich, weshalb ich meinen Blick nicht abwenden konnte.
    »He«, sagte der Typ mit schmeichlerischer Stimme. »Du hast geile Sportschuhe.«
    »Findest du?«, fragte die junge Frau. »Wirklich?«
    »Ja, finde ich. Hast du Zeit für ein kurzes Gespräch?«
    Ich schlich mich näher an sie heran, und die Passanten stießen mit mir zusammen und fluchten leise. Aber ich nahm das kaum wahr, weil ich so gebannt war von dem, was sich da anbahnte – irgendwie wusste ich, dass diese junge Frau etwas Dramatisches vorhatte, vielleicht einen Kung-Fu-Tritt und einen Griff an seinen ohnehin schon obszön tief sitzenden Hosenbund, sodass seine Jeans ihm in die Kniekehlen rutschten.
    Aber auch ich war nicht auf das vorbereitet, was sie tat: Sie warf sich ihm an den Hals, schlang ihre Arme um ihn und umarmte ihn fest. »Deine Sportschuhe sind auch ganz toll«, sagte sie.
    »He …« Er lachte überrascht. »Danke, das ist nett.«
    »Und deine Haare …« Sie griff in seine Dreadlocks und zog kräftig daran. »Ist das eine Perücke?«
    »Nein … alles meins.« Er lächelte verunsichert und versuchte, sich von ihr zu lösen.
    »Nein, nein, nein.« Sie umklammerte ihn noch fester. »Du musst umarmt werden, weil du so etwas Nettes über meine Sportschuhe gesagt hast.« Ihre Augen funkelten vor Boshaftigkeit.
    »Ja, aber …«
    Inzwischen waren einige Passanten stehen geblieben und weideten sich vergnügt an seinem Unbehagen.
    Der Wohltätigkeitstyp versuchte, die Hände der jungen Frau von sich zu lösen, aber sie klammerte sich an ihn wie ein Äffchen, sodass selbst ich langsam Mitleid mit ihm bekam, bis sie ihn schließlich freigab. Er eilte auf der Grafton Street davon und zerrte dabei an seiner roten »Rollstühle für Esel«-Weste, in dem verzweifelten Versuch, sie auszuziehen. »Wohin willst du denn?«, rief sie ihm nach. »Ich dachte, du bist mein Freund.«
    Spontaner Applaus unter den Zuschauern kam auf, und sie lachte, ein wenig stolz, ein wenig verlegen. »Ach nein, ist schon gut.«
    Ich wartete, bis ihre Bewunderer sich verzogen hatten, dann ging ich zu ihr, wie ich es früher im Kindergarten gemacht hatte, und sagte: »Ich bin Helen.« Es war ein unverhohlener Freundschaftsantrag.
    Sie musterte mich eine Minute, registrierte kühl alle Einzelheiten, war offensichtlich zufrieden mit dem, was sie sah, denn auf ihrem Gesicht erschien ein sehr hübsches Lächeln, und sie sagte: »Ich bin Bronagh.«
    Ich war nicht sicher, was ich als Nächstes tun sollte. Ich wollte sie zur Freundin haben, wusste aber nicht, wie ich das anstellen sollte. Mir fiel es anscheinend schwer, Freunde zu finden, ich meine, echte Freunde. Für viele Jahre meines Lebens musste ich mich mit den Menschen in meiner Familie begnügen, obwohl ich vieles an ihnen auszusetzen hatte, aber ich konnte ja nicht weglaufen. Lange war meine Schwester Anna meine beste Freundin gewesen, obwohl ich mich pausenlos über sie lustig machte, aber dann setzte sie sich nach New York ab und hinterließ ein großes Loch in meinem Leben.
    »Hast du gerade etwas vor?«, fragte ich Bronagh. »Hättest du Lust auf eine Cola light?«
    Sie runzelte die Stirn und schien beunruhigt. »Bist du lesbisch?«
    »Nein.«
    »Dann ist ja gut.« Wieder strahlte sie mich mit einem breiten Lächeln an. »Dann auf eine Cola light.«

11
    I ch ging nach oben, in Mums und Dads »Büro« (Claires ehemaliges Schlafzimmer), und stellte den Computer und den Scanner an. Mein eigener Kram – Bürosachen, Überwachungsgeräte – war überall im Haus verteilt, in meinem Schlafzimmer, im Esszimmer, und einiges auch hier in diesem Büro. Wenn ich erst mal alles ein bisschen besser organisiert hatte, würde ich mich vielleicht mehr – es fiel mir schwer, das Wort auch nur zu denken, sehr ärgerlich, in-die-Tonne-ärgerlich – angekommen fühlen.
    Wenigstens gab es im Haus einen Internetanschluss. Vor zwei Jahren hatte ich Mum und Dad dazu überredet, und jetzt war ich heilfroh. Ich gab »Gloria« bei Google ein und kriegte eine Million Treffer, nicht einer davon hilfreich. Wer hat gewusst, dass Van Morrison einen Song mit dem Titel »Gloria« gesungen hat? Muss vor meiner Geburt gewesen sein.
    Ich las meine E-Mails: Noch keine Antworten auf die zwei, die ich am Abend geschrieben hatte, aber es war schließlich mitten in der Nacht. Und keine von John Joseph mit der Nummer von Birdie Salaman. Auch die würde

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