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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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einem Dämmerzustand, und versucht, die Passanten zu beißen.«
    Könnte passieren. Manchmal geraten Menschen in einen seltsamen Zustand, in dem sie alles vergessen, sogar ihren Namen. Aber das ist selten.
    »Oder er ist verhaftet worden und sitzt in einer Zelle.«
    »Weswegen verhaftet?«
    »Himmel, wegen irgendwas. Urinieren in der Öffentlichkeit – obwohl das nicht Waynes Stil ist; oder weil er sich als Augenfacharzt ausgegeben hat …«
    »Ach, es hat keinen Sinn, Sie zu fragen«, sagte ich, »Sie sind einfach zu zynisch.«
    Außerdem war es ausgeschlossen, dass ein Gerichtsreporter nicht Waynes Namen erkannt hätte. Wenn Wayne verhaftet worden wäre, hätte das ganze Land inzwischen davon erfahren.
    »Hier ist meine Visitenkarte.« Ich gab sie Roger. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen etwas einfällt, auch wenn es noch so unbedeutend scheint. Kann ich mir Ihre Nummer aufschreiben?«
    »Selbstverständlich! Und rufen Sie mich auf jeden Fall an, wenn Sie glauben, ich könnte Ihnen, ehm … in irgendeiner Weise behilflich sein. Ja, auf jeden Fall.« Alter Schwerenöter. Er warf Jay Parker einen durchtriebenen Blick zu. »Ich trete niemandem zu nahe, oder? Oder spüre ich zwischen euch gewisse Schwingungen?«
    »Nein«, sagte ich, »keineswegs.«
    »Na gut.« Roger lachte kurz und sarkastisch. »Noch weitere Fragen? Oder kann ich mich wieder setzen?«
    »Nur noch eine. Wieso hat Jay Parker nicht darauf bestanden, dass Sie sich auch Botox spritzen lassen?«
    Jay und Roger sahen sich überrascht an.
    »Das habe ich natürlich«, sagte Jay.
    »Sie sollten mich mal ohne sehen«, sagte Roger und lachte wieder sein bitteres Lachen.
    »Danke, dass Sie uns geholfen haben«, sagte ich. »Komm, Jay, gehen wir.«
    Kurz bevor ich die Tür erreichte, sagte ich über die Schulter hinweg: »Übrigens, Roger, Gloria schickt Grüße.«
    Er sah betroffen aus. »Wirklich?«
    Volltreffer!
    Ich kam zurück und setzte mich neben ihn, ganz nah. »Erzählen Sie mir doch von Gloria«, forderte ich ihn freundlich auf.
    Er sah aus, als wäre ihm schlecht. »Besser, Sie sagen es. Worum geht es? Eine Aufnahme beim Sex? Nicht … bitte nicht, nicht schon wieder eine Vaterschaftsklage.«
    »Wovon reden Sie?«, sagte ich.
    »Wovon reden Sie? «
    Verwirrung sprang zwischen uns hin und her, dann begriff ich: Kein Volltreffer.
    »Sie kennen gar keine Frau, die Gloria heißt, oder?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Sie erkennen nicht einmal den Namen, aber Sie glauben, Sie könnten mit ihr ein Kind gezeugt haben?«
    Er zuckte die Achseln. »Jetzt verstehen Sie meine Welt.«
    Als wir zurück in die Stadt fuhren, sagte ich zu Jay: »Ich brauche Waynes Handynummer.«
    »Schicke sie dir schon.«
    »Und den Schlüssel zu seinem Haus.«
    »Ich lasse einen nachmachen und bringe ihn dir morgen früh vorbei.«
    »Gib mir einfach deinen.«
    »Nein. Ich lasse einen nachmachen.«
    Ich sagte: »Ich möchte in Waynes Haus eine Kamera installieren, damit wir sofort Bescheid wissen, wenn er nach Hause kommt.«
    Spionagetechnik, wie ich sie liebe. Meine Schwester Claire verbringt jede freie Minute im Internet auf der Seite von Net-a-Porter und sieht sich Schuhe an, die sie sich nicht leisten kann, und mir geht es ähnlich mit Spionage-Produkten. Nicht dass man mich missversteht, ich liebe Klamotten, ich liebe Schuhe, ich liebe Handtaschen, zurzeit stehe ich voll auf Halstücher und kaufe dauernd neue, oder wenigstens so lange, bis meine Karte nicht mehr akzeptiert wird.
    Das Komische ist ja: Man würde denken, ein Halstuch reicht. Man würde denken, wenn man erst kein Halstuch gehabt hat und dann eines besitzt, wäre das Leben um vieles reicher. Aber erst als ich ein Tuch hatte, wurde mir bewusst, dass es da draußen eine ganze Welt von Tüchern gab, die ich alle nicht besaß. Ich musste mir weitere kaufen. Und je mehr Tücher ich mir kaufte, desto mehr wollte ich – und so geht es mir mit allem.
    Ich kaufte mir also mehr Halstücher, und so schön jedes einzelne auch war, es war nie genug . Dann widerfuhr mir das große Pech, dass ich sah, wie eine Französin sich ein Isabel-Marant-Tuch lässig um ihren eleganten französischen Hals schlang. Ich wünschte inständig, das wäre mir erspart geblieben, denn ich wusste, ich würde es nie mit ihrem lässigen Chic, mit ihrer angeborenen Grazie, ihrer natürlichen Eleganz aufnehmen können. Aber das hinderte mich nicht daran, es trotzdem zu versuchen. Und statt mir selbst und meinen Unzulänglichkeiten die Schuld zu geben, gab

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