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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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war lang und sei dig, ihre Kunstbräune untadelig, sie trug lässige Caprihosen, ein knappes T-Shirt, das mit einer Anime-Figur bedruckt war, und enorm hohe Schuhe mit Keilabsatz. An ihrem Arm klimperten unzählige Silberreifen, auf denen Hindu-Gebete eingraviert waren. So was kam dabei heraus, wenn man eine halbwüchsige Tochter hatte. Möglich, dass Kates Hormone verrücktspielten, aber sie half ihrer Mutter, modisch voll auf der Höhe zu sein.
    »Du bist richtig dünn geworden«, sagte sie und konnte den Neid in ihrer Stimme nicht verhehlen.
    Schon, jetzt war ich noch dünn, aber wenn die Medikamente erst einmal zu wirken begannen, würde mich ein brüllender Hunger nach Kohlehydraten überfallen. Mein Stoffwechsel käme praktisch zum Erliegen, mein Gesicht würde die Form eines Vollmonds annehmen und mein Bauch sich in mehrere Reihen von Speckrollen legen. Eine Wabbelfrau. Es war alles entsetzlich, die Krankheit und die Heilmethode.
    »Wie kommt es, dass du gar keine Cellulite an den Armen hast?«, fragte ich.
    »Jeden Tag eine Stunde Gewichtheben. Na, sagen wir, eine halbe Stunde. Und vielleicht auch nicht jeden Tag. Wir kämpfen den guten Kampf weiter. Wir dürfen nie, niemals klein beigeben.«
    »Gibt’s was Neues?«
    »Jede Menge.« Sie nahm ein Nicorette-Kaugummi aus der Packung und steckte es sich in den Mund. »Habe mit dem Rauchen aufgehört«, sagte sie. »Lasse den Pony rauswachsen. Suche nach einem Rezept für vegetarische Lammkasserolle. Muss dem Hund die Eier entfernen lassen. Überlege, Kate in einem von diesen Erziehungscamps für Teenager unterzubringen. Das Übliche eben.« Sie kramte in ihrer Handtasche und holte ein Buch hervor, das sie Mum gab.
    »Danke, Liebes.«
    »Nein, ich muss für meinen Buchclub lesen. Könntest du das bis Montag für mich tun und mir dann sagen, wovon es handelt?«
    »Ich werde es versuchen, aber jetzt, wo Helen Geier sieht und nichts isst und dein Vater taub wird …«
    »Ach, ist auch egal. Wir sitzen sowieso nur rum, trinken Wein und lästern über unsere Männer. Wir sprechen nie über die Bücher. Sollen wir Helens Sachen auspacken?«
    Etwas huschte über meine Seele. Ein Unbehagen. Anders als das Unbehagen, das ich seit dem Aufwachen gespürt hatte. Ich wühlte in meinen Gedanken und fand den Grund: Irgendwo in diesen Kartons waren Fotos. Kompromittierende Fotos. Von Artie. Nackt und ohne jede Hemmungen – drücke ich mich verständlich aus?
    Ich hätte sie niemals ausdrucken sollen.
    Aber sie waren versteckt. Eingewickelt in ein T-Shirt in einem Karton in einer Tüte. Niemand würde sie finden.
    »Ich muss nur schnell mal los und Pastamehl kaufen«, sagte Claire. »Ich kriege heute Abend Besuch und will Orecchiette machen, aber in diesem verdammten Kaff kann man nirgendwo Pastamehl kaufen. Unten in der York Street ist ein Italiener, da versuche ich es mal. In fünf Minuten bin ich zurück.«
    Sie verschwand mit fliegendem Haar.
    »Meinst du, sie kommt zurück?«, fragte Mum etwas kläglich.
    »Ist doch egal. Margaret ist bestimmt gleich hier.«
    »Ach, was soll’s!«, erklärte Mum. »Da kommt Jay Parker!«
    Ich warf einen Blick aus dem Fenster.
    Eindeutig Jay Parker, gekleidet wie immer – auf Figur sitzender Anzug, weißes Hemd, schmale Krawatte –, stolzierte er selbstbewusst auf das Haus zu..
    »Sieh ihn dir an«, sagte Mum voll unverhohlener Bewunderung. »Er hat so viel … wie heißt das? Fluidum?«
    Sie rannte die Treppe runter, um ihn einzulassen, und ich kam, etwas langsamer, hinterher. Zu meiner großen Über raschung (von der besorgniserregenden Sorte) kam Dad auch in den Flur – in einem Vorgang, der an ein Wunder grenzte, hatte er sich von seinem Sessel vor der Sportschau gelöst und war gekommen, um Jay Guten Tag zu sagen.
    »Wir haben dich vermisst.« Dad mochte Jay Parker sehr gern.
    »Das stimmt, das stimmt«, pflichtete Mum ihm mit kindlicher Begeisterung bei. Auch Mum mochte Jay Parker sehr gern. Alle mochten Jay Parker – meine Schwestern, Bronagh, Bronaghs Mann Blake, alle .
    Nachdem sie einen Moment geplaudert hatten, wurde Dad nervös. Er konnte nicht allzu lange vom Fernseher wegbleiben, sonst würde etwas Schlimmes passieren.
    »Komm bald mal wieder vorbei«, sagte er. Es folgte eine Schrecksekunde, in der es so aussah, als wollte Dad Jay in einer Männerumarmung an sich drücken, aber nach einem Moment der Verunsicherung, der eine Ewigkeit zu dauern schien, trennten sie sich ohne Zwischenfall.
    Jetzt wandte Jay Parker seine

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