Glücksfall
mit Granatapfelduft die Kleine retten können). Sie würden ideal in mein etwas trauriges und gespenstisches Schlafzimmer passen.
Ich griff danach – sie gehörten mir schon –, aber zu meiner großen Verwunderung war eine andere Hand schneller. Eine kleine Hand mit knallrosa lackierten Fingernägeln.
Es war ein kleines Mädchen, obwohl, so klein auch wieder nicht, ungefähr neun. Sie griff nach der Bürste und dem Spiegel und drückte beides an ihre rosa bekleidete Brust.
»Die wollte ich gerade«, sagte ich, zu überrascht, um mich zurückzuhalten. Ich weiß, dass in der seltsamen, modernen Welt, in der wir leben, Kinder die Könige sind. Was immer sie wollen, müssen sie bekommen. Wir dürfen ihnen nichts verweigern. In ihrer Anwesenheit dürfen wir uns nicht einmal zu unseren eigenen Wünschen und Bedürfnissen bekennen. (Ist das eigentlich schon ein Ge setz? Wenn nicht, dann wird es bald so weit sein. Man achte darauf.)
»Sie hat sie zuerst gehabt, alles, was recht ist«, sagte die Frau am Stand. Wahrscheinlich war den ganzen Morgen nicht so viel los gewesen wie gerade jetzt.
Hatte es einen Sinn zu erwähnen, dass ich nicht an »alles, was recht ist« glaubte? Ich war bereit, mich mit ihr für die Bürste mit Spiegel anzulegen.
»Oh.« Das Mädchen sah mich an. Offenbar gefiel ihr, was sie sah. »Du kannst sie haben, bitte.« Sie schob mir das Set zu, und ich – ja! – ich nahm es.
»Nein!«, sagte die Frau hinter dem Tisch. Eindeutig hatte sie etwas gegen mich, weil ich erst ihre Hoffnung geweckt und dann zerstört hatte, als ich mich gegen das Kamel-Salz-und-Pfeffer-Paar entschieden hatte. »Du hast zuerst danach gegriffen, kleines Fräulein. Ich habe es gesehen. Sie!« Sie wies mit einem anklagenden Finger auf mich. »Geben Sie dem Mädchen seine Sachen zurück.«
»Sie gehören mir nicht«, sagte das Mädchen. »Ich weiß gar nicht, ob ich genug Geld habe, um sie zu kaufen.«
Glaub mir, Mädchen, dachte ich, du hast mit Sicherheit genug Geld. Das Twinset hinter dem Tisch verkauft sie dir zu jedem Preis, und sei er noch so gering, bloß damit ich sie nicht bekomme.
Das kleine Mädchen hatte ein kleines rosa Portemonnaie hervorgeholt. »Ich kaufe Weihnachtsgeschenke für meine Familie. Ich darf für jeden fünf Euro ausgeben.«
»Das passt ja perfekt!«, sagte das Twinset. »Fünf Euro soll das Set nämlich kosten!«
»Und was können Sie über seine Herkunft sagen?«, fragte das kleine Mädchen, als wären wir bei Sotheby’s.
»Wie, seine Herkunft?«, fragte das Twinset. »Was meinst du damit?«
»Woher kommt es?«
»Aus einem Karton. Zusammen mit dem ganzen anderen Schrott.« Das Twinset ließ den Blick bitter über die traurigen Waren schweifen. »Woher soll ich das wissen? Ich wollte eigentlich den Strickstand machen.«
Was sie wohl getan hatte, dass ihr dieses Schicksal beschieden war? Hatte sie die Vorsitzende nicht ausreichend für den Victoria-Sponge-Kuchen des Komitees gelobt? Kuchenkriege waren eine besonders heftige Form der Auseinandersetzung. Einen selbst gebackenen Kuchen zu kritisieren ist fast so schlimm, wie von einem Baby zu sagen, es sehe aus wie ein Serienmörder. Man kann sich nicht vorstellen, welche Kräfte des Bösen auf diese Weise entfesselt werden.
Das kleine Mädchen sah mich mit großen Augen an. »Wirst du der Bürste und dem Spiegel ein gutes Zuhause geben?«
»Ja.«
»Ich vertraue dir. Ich spüre, dass du ein gutes Herz hast.«
»Ah … danke, vielen Dank. Du aber offensichtlich auch.«
»Bella Devlin.« Sie streckte mir höflich die kleine Hand entgegen, und ich legte die Sachen ab, damit ich sie ergreifen und schütteln konnte. »Helen Walsh.«
Ich gab der Standdame fünf Euro, und sie lohnte es mir mit einem zitronensauren Lächeln.
»Es ist richtig, dass du sie bekommst«, sagte Bella. »Ich hatte überlegt, sie meinem Bruder zu schenken, aber jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Oh!« Sie sah jemanden hinter mir, und ihr Gesicht strahlte. »Da ist mein Dad. Er kauft gerade unseren Weihnachtsbaum.«
Ich drehte mich um, und er stand vor mir. Artie Devlin, der attraktive Polizist. Der Skalpell-Mann.
»Dad!« Bella platzte mit ihren Neuigkeiten heraus. »Das ist meine neue Freundin, Helen Walsh.«
Ach, du lieber Gott. Ich starrte zu Artie hoch. Er starrte zu mir herunter.
»Wir kennen uns«, sagten wir beide.
»Wirklich? Wie?« Bella riss die Augen auf.
»Durch die Arbeit«, sagte ich.
»Wie alt bist du denn?« Anscheinend war Bella der
Weitere Kostenlose Bücher