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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Gegacker drang an mein Ohr, dann war es abrupt still.
    Lange, sehr lange blickte ich auf das Handy, erst allmählich löste ich mich aus der Starre. Eine Nachricht war in meiner Mailbox eingegangen. Von Mum, und irgendwie klang ihre Stimme merkwürdig. »Ich und Margaret, wir haben deine Sachen fertig ausgepackt.« Mir war auf der Stelle klar, warum ihre Stimme merkwürdig klang – sie hatte die Fotos gefunden. »Wir haben Nacktbilder von Artie gefunden.« Ihre Stimme klang wie erstickt. »Jetzt verstehe ich …« Sie zwang sich zum Weitersprechen. »Jetzt verstehe ich, was dir so an ihm gefällt.«
    Verdammt. Verdammt, verdammt. Verdammt noch mal. Was hatte sie damit gemacht? Sie zerrissen? Sie diskret zwischen meiner Unterwäsche versteckt? Oder hatte sie eins in einen kitschigen Bilderrahmen gesteckt und auf dem polierten, ovalen Tisch zu den Fotos ihrer Enkelkinder gestellt?
    Bei ihr wusste man nie. Manchmal schlug sie wie wild um sich und gab sich hochmoralisch, dann wieder führte sie sich auf wie eine von uns.
    So oder so, ich konnte ihr Haus nie wieder betreten. Nie wieder.
    »Komm«, sagte ich zu Jay Parker. »Steig ein.«
    Wir fuhren weiter. Langsam wurde es dunkel, und die sprechende Landkarte führte uns immer tiefer in ein fremdes, wildes Land. Die Fahrt dauerte sehr lange, viel länger als die zwei Stunden, mit denen ich gerechnet hatte.
    Wir fuhren auf engen, gewundenen Straßen, um beunruhigend scharfe Kurven und auf Wegen mit beiderseits hohen Hecken, die im Ufersand ausliefen.
    Zweimal musste ich wenden und zurückfahren, den Blick in die kahle, dunkle Landschaft gerichtet, auf der Suche nach einer versteckten Abzweigung, an der ich vorbeigefahren war. Dunkelheit breitete sich um uns herum aus, und in mir wuchs das Gefühl, dass Jay Parker und ich die einzigen Menschen auf der Welt waren.
    Langsam stieg Hoffnungslosigkeit in mir auf, doch just in dem Moment meldete das Navi: »Sie haben Ihren Zielort erreicht.«
    »Tatsächlich?«, sagte ich überrascht.
    Ich trat auf die Bremse, fuhr mit quietschenden Reifen ein paar Meter zurück und bremste erneut. Die Scheinwer fer warfen ihr Licht auf ein Tor, das abweisend und beinahe bedrohlich wirkte und mindestens drei Meter hoch war. Das Tor war in eine hohe, unfreundliche Mauer eingelassen, und obwohl ich im Dunkeln nicht viel sehen konnte, wirkte das, was ich sah, sehr professionell, sehr abgeschottet.
    Ich sprang aus dem Auto, Jay hinter mir her, und versuchte, das Tor aufzustoßen, aber zu meiner Enttäuschung war es fest verschlossen. Es bewegte sich nicht einen Millimeter und war offensichtlich elektronisch verriegelt.
    Hektisch schaute ich mich nach allen Seiten um und suchte verzweifelt nach etwas, das mir helfen würde. Wir waren so nah dran, Wayne zu finden … Ich musste da rein.
    Ah. In der Mauer war eine Sprechanlage. Ich wollte auf den Knopf drücken und wich gleichzeitig zurück. Ich war so aufgeregt, und ich wollte jetzt nichts vermasseln.
    Ich sah Jay an. Im hellen Licht der Scheinwerfer zeigte sich in seiner Miene dieselbe Mischung aus Triumph und Besorgnis, die auch ich verspürte.
    Er nickte zu der Sprechanlage hinüber. »Sollen wir … drücken?« In meinem Kopf ging alles durcheinander. Sollten wir mit einem Überraschungsmoment arbeiten? Wenn Wayne hörte, dass Jay da war, würde er dann abhauen und sich irgendwo verstecken, bis wir weg waren?
    Eher nicht, dachte ich. Schließlich war er kein Verbrecher auf der Flucht.
    »Drück drauf«, sagte ich. »Mal sehen, was passiert.«
    »Mach du’s. Ich will nicht.«
    Seltsamerweise wollte ich auch nicht. Ich war nervös und besorgt und fand alles sehr beunruhigend. Andererseits war es nicht verboten, auf eine Klingel zu drücken, also drückte ich drauf und lauschte gespannt mit angehaltenem Atem, welche Stimme sich melden würde. Die von Wayne? Von Gloria?
    Über meinem Kopf ertönte ein Surren, und ich sah nach oben. Eine Kamera bewegte sich und richtete sich so aus, dass sie mich gut ins Visier bekam. »Himmel!« Das war rich tig unheimlich.
    »Ist jemand im Haus?« Jay klang panisch oder vielleicht auch nur sehr aufgeregt. »Sieht uns einer?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht ist es auch eine auto matische Kamera, die aktiviert wird, wenn man auf den Knopf drückt.«
    Ich trat zurück, aus dem Blickfeld der Kamera, und Jay und ich warteten schweigend darauf, dass die Sprechanlage zu knistern anfangen würde.
    Nichts passierte. Noch nicht.
    »Drück noch mal«, sagte

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