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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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vor der Brust. Man wusste nie wirklich, was mit einem See los war, welche Geheimnisse er in seiner dunkelblauen Tiefe verbarg – er konnte alles Mögliche im Schilde führen. Das Meer hingegen war wie ein junger Hund (obwohl, junge Hunde mochte ich eigentlich auch nicht). Das Meer war überschwänglich und offen, es konnte nichts vor einem verstecken, selbst wenn es das wollte.
    »Wir müssen ins Haus rein«, sagte Jay.
    Plötzlich bekam ich Skrupel. Wenn Wayne wirklich nicht gefunden werden wollte, sollte ich das vielleicht respektieren. Aber dann spürte ich einen Adrenalinschub, und die Vorstellung, ganz nah dran zu sein, wischte alle Bedenken beiseite. Wichtig war nur, dass wir ins Haus kamen.
    »Wie sollen wir reinkommen?«, fragte Jay.
    »Wir machen einfach die Tür auf«, sagte ich triumphierend.
    Ich ging zur Haustür und rüttelte am Griff – man konnte nie wissen. Aber sie war verschlossen.
    Na gut. Eine kleine Demütigung.
    »Und jetzt?«, fragte Jay.
    »Jetzt klingeln wir.«
    Aber es gab keine Klingel.
    »Wir klopfen höflich an«, sagte ich und hämmerte gegen die gläserne Haustür, bis meine Fingerknöchel schmerzten.
    »Und jetzt?«, fragte Jay.
    »Wir brechen ein. Ist doch klar. Blödmann.«
    Es klingt vielleicht, als würde es Spaß machen, aber so lustig ist es wirklich nicht, in ein Haus einzubrechen. Die praktischen Aspekte stellen oft eine große Herausforderung dar – normalerweise muss man erst einmal einen schweren Gegenstand finden, dann ein Fenster damit einschlagen, es öffnen, sich hindurchzwängen, ohne sich die Pulsadern an einer Scherbe aufzuschlitzen, dann durch das Haus rennen, während die ganze Zeit die Alarmanlage schrillt und den Kopf zum Bersten bringt.
    Ein Glücksfall, dass die Tür aus Glas war, ich musste also nicht den Umweg über die Fenster machen. Und im Kofferraum hatte ich eine Dose Erdbeeren.
    »Wozu hast du die denn im Auto?«, fragte Jay.
    »Still jetzt.«
    Mir war ein wenig übel. Es war eine Qual – so nah an Wayne dran zu sein und doch noch so viele Hindernisse überwinden zu müssen. Ganz zu schweigen von dem Gedanken, dass er vielleicht doch nicht da war.
    Ich schlug hart mit der Dose gegen das Glas, aber die Dose sprang einfach zurück. Ich schlug wieder zu, diesmal härter und konzentrierter, und wurde belohnt: das Glas zersplitterte, ein kleines Loch war entstanden, von dem aus lange Sprünge in alle Richtungen verliefen. Ich schlug noch einmal zu, und jetzt brach ein großes Stück der Scheibe einfach aus dem Rahmen und fiel in den Flur, und kleine, hochgefährliche Scherben flogen durch die Luft.
    Mit der Erdbeerdose schlug ich die spitzen Scherben um das Schloss herum ab, dann streckte ich die Hand durch das Loch und umfasste den Türgriff. »Sobald ich die Tür aufmache«, sagte ich zu Jay, »geht die Alarmanlage los, so laut, dass sie noch nächste Woche in unseren Ohren schrillen wird. Ignorier den Krach einfach und mach schnell. Wenn du glaubst, er ist oben, dann fangen wir da an. Bist du so weit?«
    Ich drückte die Tür auf, wir rannten rein und trampelten über die Scherben, aber keine Alarmanlage fing zu kreischen an. Da war nichts als Stille. Unerwartete, verstörende Stille. Das konnte zweierlei bedeuten. Entweder jemand war im Haus, was gut war (aber auch schlecht, weil die betreffenden Personen ja offensichtlich nichts mit uns zu tun haben wollten). Oder die Alarmanlage war auf der örtlichen Polizeistation ausgelöst worden und schrillte jetzt dort. Und das bedeutete, dass ein Einsatzwagen, voll besetzt mit fett gefressenen Polizisten, die wie Hunde keiften und ihre Schlagstöcke schwenkten, in Kürze bei dem Haus eintreffen würde.
    Es konnte noch ein Drittes bedeuten. Nämlich dass Docker nie in dem Haus gewohnt und sich deshalb nie um eine Alarmanlage gekümmert hatte. Vielleicht hatte er gedacht, das Tor habe eine ausreichend abschreckende Wirkung, und sich um den Rest nicht gekümmert.
    »Schnell«, sagte ich zu Jay.
    Wir rannten die Treppe hoch. Irgendwie fühlte es sich seltsam an, als unsere Füße auf die Holzstufen traten. Wir waren oben und eilten von einem Schlafzimmer zum nächst en – es gab drei, alle im Ranch-Stil eingerichtet –, sodass es eine Weile dauerte, bis mir aufging, was so seltsam war. Es war der Staub, zentimeterhoher Staub, der sich über lange Zeit ungestört angesammelt hatte und jetzt mit jedem unserer Schritte in die Höhe stob.
    Niemand war in den Schlafzimmern, niemand unter den Betten, überall nichts

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