Glücksfall
Hunde schnauften und keuchten, und alle vier bildeten eine fröhliche kleine Flotte um mich herum.
Die Frau, die mich entdeckt und die gesamte Rettungsaktion ausgelöst hatte, half mir die letzten Stufen hinauf. »Was kann denn nur so schlimm sein«, fragte sie mit zutiefst besorgter Miene, »dass Sie das tun wollten?«
Hundeliebhaber, das war mir schon längst aufgefallen, zeichneten sich durch einen erstaunlichen Mangel an Fantasie aus.
»Wir sollten die Polizei anrufen«, sagte einer der Männer.
»Warum?«, sagte ich. Inzwischen weinte ich, ich heulte mir die Augen aus dem Kopf. Ich war nicht tot. Ich lebte immer noch, dabei hatte ich mich so darauf gefreut, tot zu sein. »Sich umbringen zu wollen ist kein Verbrechen.«
»Sie wollten sich also tatsächlich umbringen!«
»Wir sollten einen Krankenwagen rufen«, sagte die Frau.
»Mir fehlt nichts«, sagte ich. »Ich bin nur nass, und ich friere.«
»Nicht diese Art von Krankenwagen.«
»Oder meinen Sie die Männer in weißen Kitteln?«
»Ja, schon …«
»Sie ist ganz ausgekühlt«, sagte einer der Männer. »Durchnässt und ausgekühlt. Und ehrlich gesagt bin ich das auch.«
Arme Menschen – jetzt hatten sie mir das Leben gerettet und wussten nicht recht, was sie mit mir anfangen sollten.
»Im Auto habe ich eine Wolldecke«, sagte die Frau.
»Wir sollten zurückgehen«, sagte einer der Männer. »Viel kommt nicht dabei raus, wenn wir hier rumstehen.«
Also machten wir uns auf den Weg, drei von vieren tropfnass. Wir brauchten ungefähr zwanzig Minuten für die Meile bis zum Anfang des Piers und bildeten eine unbeholfene kleine Gruppe. Soweit ich verstand, kannten sich die drei untereinander nicht, sie waren lediglich zu einem friedlichen Spätabendspaziergang mit ihren Hunden unterwegs gewesen, als sie mich bei meinem Vorhaben angetroffen hatten, und jetzt mussten sie sich miteinander unterhalten. Die Hunde auf der anderen Seite hatten ihr Vergnügen: ein neuer Freund, Schwimmen bei Nacht – besser konnte das Leben nicht werden.
»Haben Sie ein Zuhause?«, fragte die Frau. »Kann ich jemanden für Sie anrufen?«
»Nein, nein, alles bestens.« Immer noch strömten mir die Tränen über das Gesicht.
»Sie könnten bei der Telefonseelsorge anrufen.«
»Ja, vielleicht.« Mir taten die Leute von der Telefonseelsorge leid. Bestimmt wollten sie jedes Mal, wenn sie feststellten, dass ich schon wieder dran war, am liebsten gleich auflegen.
»Haben Sie Ihre Arbeit verloren oder so etwas?«, fragte einer der Männer.
»Nein.«
»Ist Ihr Freund mit einer anderen abgehauen?«
»Nein.«
»Haben Sie an die Menschen gedacht, die Sie zurücklassen?«, fragte die Frau und klang plötzlich richtig wütend. »Ihre Eltern? Ihre Freunde? Warum denken Sie nicht an deren Gefühle? Wie es denen ergangen wäre, wenn nicht Ebbe gewesen wäre und wir zufällig vorbeigekommen wären?«
Ich sah sie durch meine Tränen hindurch an. »Ich habe eine Depression«, sagte ich. »Ich bin krank. Ich mache das nicht zum Spaß.«
Wenn man Lupus oder Krebs hat – oder eben eine Depression –, sollte man wirklich nicht noch von Leuten geplagt werden, die einem vorwerfen, dass man egoistisch ist.
»Also, ich glaube, das Beste wäre«, sagte einer der Männer, »wenn Sie irgendwo hingehen, wo Sie erst mal zur Ruhe kommen können.«
33
E s waren ungefähr drei Monate vergangen seit meinem ersten Besuch bei Dr. Waterbury, bei dem ich sein Rezept für Antidepressiva mit Spott entgegengenommen hatte, bis zu meinem Versuch, mich zu ertränken.
Der Abstieg in die Hölle hatte ungefähr drei bis vier Tage nach seiner Diagnose begonnen. Richtig sonnig war mir schon länger nicht zumute gewesen, aber plötzlich ging es steil bergab. Vielleicht, weil er es benannt hatte.
Ich hatte das Gefühl, in tausend Stücke zu zerspringen.
Wie bei einem kalbenden Eisberg brachen riesige Brocken von Angstzuständen in mir ab und stiegen an die Oberfläche. Alles sah hässlich und spitz und fremdartig aus, und ich hatte das Gefühl, in einem Science-Fiction-Film zu leben. Als wäre ich in einen Körper hineinkatapultiert worden, der meinem ähnlich war, auf einem Planeten, der ähnlich wie die Erde war, wo aber alles bösartig und bedrohlich war. Mir kam es vor, als wären alle Menschen um mich herum durch ihre Doppelgänger ersetzt worden. Ich fühlte mich nicht mehr sicher, absolut und überhaupt nicht sicher. Verunsichert war die beste Beschreibung, ich war im allerhöchsten Grad
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