Glücksgriff
ihre Verhältnisse –, »denn er ist nicht da.«
»Wir sind nicht alle so lahm wie du«, gab ihre Mutter zurück. »Ich werde ihn besuchen.«
Erschrocken sah Chloe sich um. Ihre Mutter stand in der Küchentür und schwenkte in einer Hand ein Notizbuch und in der anderen einen Kugelschreiber.
»Das kannst du nicht machen!«
»Gib mir nur seine Adresse.«
»Ich habe sie nicht.«
»Mach dich nicht lächerlich.«
»Das tue ich nicht«, log Chloe, und ihre Handflächen wurden feucht, »ich weiß nicht, wo er ist.«
Sie wusste es. Es war zu ihr durchgesickert, dass Greg zu Adrian gezogen war, doch sie besaß genug Stolz, sich nicht mit ihm in Verbindung zu setzen.
Vor allem, weil es keinen Sinn hatte.
Und wenn es etwas Demütigenderes gab, dachte Chloe, als auf der Schwelle des Ehemannes aufzutauchen, der einen sitzen gelassen hatte, und ihn anzuflehen, seine Meinung zu ändern und zurückzukommen … nun, dann war es die eigene Mutter, die das für einen machte.
»Ich sehe immer, wenn du lügst«, stellte Pamela Greening fest. »Natürlich weißt du, wo er ist.«
Chloes Hände bebten, als sie kochendes Wasser in die Zuckerschale goss. O Gott, wie viel konnte sie noch ertragen?
»Mum, Greg ist fort. Er hat mir nicht gesagt, wohin. Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen und gesprochen. Warum hörst du nicht auf, mich auszufragen, und gehst einfach auspacken?«
Für eine Frau, die Hush Puppies trug, konnte Pamela Greening ganz schön trampeln. Chloe atmete tief durch und schaffte es diesmal, Wasser in die Teekanne zu gießen. Sie entleerte die Zuckerschale ins Becken, als das Stampfen lauter wurde. Der Boden begann zu beben.
Oh, um Himmels willen, dachte Chloe, was nun? Es war wie etwas aus
Jurassic Park
.
In der Sekunde, bevor sie sich umdrehte, erriet sie es.
Doch da es keine Möglichkeit zu entfliehen gab – nicht mal durch das winzige Küchenfenster, durch das ihre Hüften nie passen würden –, drehte sie sich trotzdem um.
Ihre Mutter stand wieder in der Tür. Nur dass sie diesmal ein Taschenbuch an sich drückte, das Chloe gestern Abend im Bett gelesen hatte.
Miriam Stoppards
Buch von Schwangerschaft und Geburt.
In diesem Moment beneidete Chloe Greg ziemlich. Sie wünschte, sie hätte ihrer Mutter niemals ihre Adresse gegeben.
»O ja.« Sie wappnete sich und murmelte: »Ich habe vergessen, es zu erwähnen. Ich bekomme ein Baby.«
Pamela Greenings Gesicht wurde purpurrot, dann weiß, dann wieder purpurrot.
Schließlich donnerte sie los: »Von wem?«
Pamela schaffte es in null Komma nichts herauszufinden, wo ihr entlaufener Schwiegersohn jetzt lebte.
Dreißig Sekunden, um die Nummer seiner Versicherung in Chloes Gelben Seiten zu finden.
Nochmal dreißig Sekunden, um zu erfahren, dass Greg heute das Büro früher verlassen hatte.
Fünfundvierzig Sekunden, um seine erschreckte Sekretärin zu informieren, dass es zwingend – ja, zwingend – notwendig sei, ihr seine neue Adresse zu geben. »Mir ist es egal, wie die Gepflogenheiten in Ihrer Firma sind. Ich heiße Doktor Blake und rufe vom St. Thomas Hospital an. Ich muss sofort mit Gregory Malone in einer Sache äußerster Dringlichkeit sprechen.«
Am anderen Ende des Wohnzimmers wand sich Chloe auf dem Sofa, und es kam ihr in den Sinn, dass ihre Mutter zu viele Folgen
Tatort
gesehen hatte.
Wenn es um Einschüchterung ging, konnte ihr keiner etwas vormachen.
»Da.« Pamela legte auf und hielt ihrer Tochter die Adresse unter die Nase. »Das hättest du auch tun können.«
Chloe sah zu, wie sie grimmig die Arme wieder in ihren derben marineblauen Mantel steckte.
»O nein, das kannst du nicht tun!«
»Das glaubst auch nur du.«
»Es wird alles nur noch schlimmer machen!«
Der Blick, den ihre Mutter ihr zuwarf, war voller Verachtung.
»Du bist schwanger. Er hat dich verlassen. Wie viel schlimmer kann es noch werden?«
»Er ist nicht hier.« Wachsam hielt sich Adrian das Handtuch um die Hüften. Er erinnerte sich von der Hochzeit her schwach an Chloes Furcht einflößende Mutter, die ihm damals unmissverständlich gesagt hatte, er solle aufhören, auf dem Tisch zu tanzen.
»Sie meinen, er versteckt sich oben, hat zu viel Angst, mir ins Gesicht zu schauen? Sagen Sie Gregory, seine Schwiegermutter ist hier, und dass ich mich nicht von der Stelle rühren werde, bis ich ihn gesehen habe.«
»Aber er ist nicht da, ich schwöre es! Sie haben ihn gerade verpasst«, beharrte Adrian. »Er ist vor fünf Minuten weg. Sie können das Haus
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