Glücksgriff
Damals war er bis ins Innerste geschockt gewesen, oft betrunken, und hatte verzweifelt Gesellschaft gesucht. Sie hatte seinen endlosen larmoyanten Tiraden gelauscht, ihn gefüttert und ihm zu trinken gegeben, hatte sogar seine Hemden gebügelt, als er ihr erzählt hatte, dass Lisa mit ihrem einzigen Bügeleisen weggelaufen sei.
Wie oft hatte Adrian in all den Wochen den Kopf geschüttelt und gesagt, wie dankbar er sei? »Wahre Freunde, das seid ihr, Greg und du«, hatte er nach seiner neunten oder zehnten Dose Stella undeutlich gebrummelt. »Ich meine es so, ich weiß nicht, was ich ohne euch beide tun würde.«
Das war natürlich damals gewesen, und nun war heute.
Ein ganzes Jahr später.
Adrian war über Lisa hinweg. Und er war nüchtern.
»Ich suche auch eine Wohnung«, sagte Chloe. »Und ich komme gleich zu spät zu einem Termin. Könntest du mich vielleicht nach Finsbury Park mitnehmen?«
»Würde ich gerne«, log Adrian, »aber ich bin selbst in Eile.«
»Ich habe in den letzten vierzehn Tagen dreiundvierzig Wohnungen angesehen. Sie waren alle schrecklich.« Sie versuchte es ein letztes Mal. »Bitte.«
Aber es nützte nichts. Er war nicht mehr ihr Freund, sondern Gregs.
»Tut mir Leid, Chloe. Ich kann nicht, du bist sowieso besser dran, wenn du die U-Bahn nimmst.«
Besser dran, wenn ich mich davor werfe, dachte Chloe, während sie dem Auto nachsah.
Zwei der Wohnungen waren schrecklich , doch die dritte – in Clerkenwell – war in Ordnung. Chloe erzählte dem Vermieter, sie sei sehr, sehr interessiert.
Als sie zu Haus ankam, war eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter: Der Vermieter teilte ihr mit, er habe die Wohnung an jemand anderen vergeben.
Chloe wärmte die Reste der Pasta vom Vorabend und trank zwei Pints von ihrem letzten Objekt der Begierde, Erdbeershake. Dann aß sie zwei Stück Kuchen und eine Dose Reispudding, bevor sie sich ein Bad einließ.
Solange sie sich heißes Wasser noch leisten konnte.
Danach betrachtete sie sich im Schlafzimmerspiegel, schälte sich aus ihrem Bademantel so vorsichtig wie ein Schönheitsoperationspatient, dessen letzte Verbände entfernt werden.
Kein Wunder, dass keiner mir eine Wohnung vermieten will, dachte Chloe, ich bin so fett und hässlich, dass ich keine verdiene.
Sie zog sich wieder an – es war nicht fair dem Spiegel gegenüber –, ging Richtung Küche und holte sich ein Päckchen Vanillecreme.
Es hieß entweder essen oder weinen, und sie hatte bald keine Taschentücher mehr.
Ganz zu schweigen von Zeit, dachte Chloe sorgenvoll. In nur etwas mehr als zwei Wochen musste sie hier raus. Wenn sie keine andere Wohnung fände – und zwar schnell –, würde sie obdachlos sein.
Oder, noch schlimmer, wieder bei ihrer Mutter in Manchester.
Ein bisschen Alkohol käme ihr gerade recht. Da sie keinen kippen durfte, munterte sich Chloe stattdessen mit einem Keks auf.
Sie schluckte ihren Stolz zusammen mit der Vanillecreme herunter und wählte Adrians Nummer.
Wie zu erwarten, antwortete die Maschine.
»Greg, ich bin’s, Chloe. Ich muss dich dringend sprechen.« Ihre Stimme begann zu zittern. »Bitte ruf zurück.«
Sie ließ den Hörer auf die Gabel fallen und starrte das Telefon an.
Zwei Minuten später klingelte es.
»Was ist los?«, fragte Greg ohne Einleitung. »Stimmt etwas nicht?«
Ob etwas nicht stimmte?
O nein, alles in Ordnung, dachte Chloe, ich bin schwanger und mein Mann hat mich verlassen, und ich werde wahrscheinlich meinen Job verlieren, und ich weiß nicht, wo ich wohnen soll, und wenn ich nicht aufhöre zu essen, werde ich am Ende so dick sein wie die Milleniums-Kuppel –
»Chloe? Bist du da?«
Es war seltsam, seine Stimme wieder zu hören.
»Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Es wird keine Anrufe mehr geben.«
»Nun gut. Nicht, dass das einen Unterschied macht«, gab Greg zurück. »Wie Ade dir schon gesagt hat, werde ich nächste Woche hier raus sein.«
Also, jetzt los, dachte Chloe. Sie atmete tief ein, um sich zu wappnen.
»Greg, ich komme nicht zurecht. Finanziell, meine ich. Ich suche eine billigere Wohnung, aber es wird trotzdem unmöglich sein, es mit meinem Gehalt zu schaffen.«
Lange Pause.
»Daran hättest du denken sollen, bevor du schwanger wurdest«, erwiderte er kalt. »Und? Was hat das mit mir zu tun?«
Wie war es so weit gekommen? Wir waren einmal so glücklich, dachte Chloe. Keiner hätte charmanter sein können als Greg, als sie sich kennen lernten.
Aber sie glaubte nun zu wissen, was es
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