Glücksgriff
also von wegen, Sie haben sich selbst entlassen?«
Florence entging aber auch gar nichts, dachte Chloe.
»Ich habe gerade eine Porzellanfigur zerbrochen.«
»War sie hässlich?«
Das bleiche Landmädchen ohne ihre Narzisse blickte hasserfüllt zu ihr auf.
»Ziemlich hässlich.«
»Dann ist es wahrscheinlich ein Segen. Sagen Sie Bruce, dass es ein Kunde war.«
Der Kloß in Chloes Kehle drohte sich zu vergrößern.
»Ich denke nicht, dass er mir glauben würde.«
»Versucht er, Sie zu feuern?«
»Ich glaube schon.« Chloes Stimme begann zu zittern. »Nun ja, ich kann es ihm nicht verdenken.«
»Wie geht’s mit der Wohnungssuche? Schon irgendetwas Erfreuliches?«
Erfreuliches, dachte Chloe. Wann habe ich mich das letzte Mal gefreut?
Ihre Nase fing an zu laufen vor Anstrengung, einen Tränenstrom zurückzuhalten. Sie fummelte in ihrer Tasche nach einem Tuch und murmelte: »Nein … tut mir Leid, ich bin ein bisschen erkältet …«
Sie deckte den Hörer gerade noch rechtzeitig mit der Hand ab und schluchzte auf. Tränen liefen ihr Gesicht herab und tropften auf die Verpackung auf der Theke.
»Chloe, sind Sie noch da?«
»Ein Kunde ist gerade in den Laden gekommen, ich muss g-gehen.« Chloe stolperte über die Worte und legte auf.
Zwanzig Minuten später klingelte das Telefon erneut.
»Nehmen Sie einen Stift und schreiben Sie auf«, befahl ihr Florence. »Tredegar Gardens vierundzwanzig, Notting Hill.«
Chloe fragte sich, was das sollte. Die Adresse der nächsten Samariter wahrscheinlich.
»Haben Sie das?«, fragte Florence munter. »Gut. Besuchen Sie mich nach der Arbeit.«
Chloe begriff allmählich, warum Bruce seine Mutter eine dominante alte Hexe nannte, die nach ihren eigenen Gesetzen lebte.
»Ähm … eigentlich bin ich verabredet, um ein paar Wohnungen anzuschauen …«
»Besuchen Sie mich nach der Arbeit«, wiederholte Florence. »Ich erwarte Sie um sechs.«
19
Florence rollte zur Haustür und öffnete sie. Das Mädchen auf der Schwelle trug keinen Mantel, zitterte und war bis auf die Haut durchnässt. Mit ihrem langen nassen blonden Haar, ihren zusammengeklebten Wimpern und ihrem knöchellangen blauen Baumwollkleid, das sich an jede Kurve anschmiegte, sah sie aus wie eine gewaltige Meerjungfrau, die man ohne viel Federlesens aus dem Wasser geholt hatte.
»Mrs. Curtis? Tut mir Leid, dass ich nass bin, es war heute Morgen so sonnig, also habe ich keinen Mantel mitgenommen, ich dachte nicht, dass es regnen würde …«
»Sogar das Wetter ist gegen Sie.« Florence setzte den Rollstuhl zurück und winkte sie herein. »Kommen Sie herein, Chloe. Und nennen Sie mich doch bitte Florence.«
Florence hielt viel von ersten Eindrücken. Sie brauchte nie länger als ein paar Augenblicke, um zu entscheiden, ob sie jemanden mochte oder nicht. Sie hatte es bei jedem ihrer Ehemänner getan und auch bei Miranda, als die Arthritis im letzten Jahr schlimmer geworden und sie gezwungen war, eine Anzeige für eine Untermieterin und Helferin aufzugeben.
Dreiundzwanzig schwunglose Bewerber später – als Florence schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte – war Miranda gekommen. Sie hatte sich überschwänglich für ihr Zuspätkommen entschuldigt, weil sie so damit beschäftigt gewesen sei, in der U-Bahn Gesprächen zu lauschen, dass sie die Haltestelle verpasst hatte. Dann hatte sie sich prompt in den gewagten Witz gestürzt, denn sie mitgehört hatte.
Sie hatten sich sofort gemocht. Florence, deren Leben zu der Zeit so etwas wie eine witzfreie Zone gewesen war, hatte ihr die Wohnung praktisch auf der Stelle angeboten. Und Miranda, die keine eigene Familie hatte – ihre Eltern waren vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen –, war bezaubert gewesen von Florence’ respektloser Haltung, nun ja, so gut wie allem und jedem gegenüber. Sie war am nächsten Tag eingezogen, erstaunlich begierig zu gefallen, und hatte Florence seitdem immer wieder – nicht immer absichtlich – zum Lachen gebracht.
Eine Tasse Tee und zwanzig Minuten vor dem Feuer hatten bei Chloe inzwischen Wunder gewirkt. Ihr sich kräuselndes blondes Haar war fast trocken, und ihre Wangen hatten wieder Farbe angenommen.
Sie sah nicht aus, als ob sie Witze vom Stapel lassen wollte, doch angesichts der Umstände war das verständlich.
»Sie haben also gestern Abend Ihren Mann angerufen«, drängte Florence sie, als sie in der Mitte der Geschichte innehielt.
»Demütigend, ich weiß. Aber ich war so verzweifelt.« Chloes
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