Glückskekssommer: Roman (German Edition)
gesundes Urteilsvermögen besitzen.
Der Spruch ist wahr. Ich glaube, nachdem ich so oft gehört habe, wie gut ich nähe, kann ich mir ein Urteil erlauben. Margret, Jola und ich sind richtig gute Schneiderinnen. Wir drei sind ein Team, und wir haben ein Ziel! Wir sollten es zumindest versuchen.
»Habt ihr schon eine Idee, was ihr beim Sommerfest macht?«, fragt Jens, als er uns die nächste Runde Milchkaffee bringt.
Margret winkt ab. »Ach, nix.«
Ich jubele. Das Fest kommt mir wie gerufen. »Margret. Das ist es!«
›Der Wedding kann auch anders‹ heißt das große Stadtteilfest, das in drei Wochen stattfinden soll und bei dem sich Weddinger Kneipen, Kaufleute, Schulen und Handwerksbetriebe zusammengetan haben, um in ihren Kiezen eine bunte Festmeile aufzubauen. Sie wollen zeigen, dass es im ärmsten Berliner Bezirk trotz mancher Probleme auch bunt und lebenswert ist.
»Was sollen wir denn machen, Rosi?«
»Das fällt uns schon noch ein, Margret«, sage ich und grinse. »Eines weiß ich aber schon – wenn der Wedding anders kann, dann können wir das auch.«
Glückskeks 15
Alles bekommt eine neue Bedeutung, wenn man es mit den Augen der Liebe betrachtet.
Vor einer Stunde stand Lila vor unserer Tür. Vicki hatte sie zum Kaffee eingeladen, zum Dank, weil Lila ihr jeden Tag, bis zu ihrer Entlassung, im Krankenhaus Gesellschaft geleistet hatte. Lächelnd, aber ein wenig schüchtern, trat sie in Vickis Palast ein. (Ich weiß noch, wie ich beim ersten Mal gestaunt habe.) Sie schenkte mir einen Sonnenblumenstrauß und Vicki eine große Schachtel Pralinen. Wir deckten den Tisch, setzten uns gemeinsam im Wohnzimmer auf die Couch und quatschten, als hätten wir nie etwas anderes getan.
»Wie haben unsere Eltern denn reagiert, nachdem ich gegangen bin?«, frage ich Lila.
»Na ja«, druckst sie herum. »Gegangen ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Du hast, bildlich gesprochen, das ganze Familienporzellan zerschlagen und uns dann in den Scherben stehen lassen.«
»Was haben sie gesagt?« Mein Herz klopft zum Zerspringen.
»Alle waren sich einig, dass es nicht richtig war, dass du in Omas Papieren gewühlt hast.«
Ich wusste es doch. Sie sind böse auf mich. Dabei stehe ich doch am Ende der tragischen Verkettungen. Genauso gut könnten sie den Hunden böse sein, weil sie die Kiste heruntergestoßen haben oder Oma, weil sie die Fotos überhaupt aufbewahrt hat, oder am besten sich selbst, weil sie ihre Kinder unter sich aufgeteilt haben wie andere Menschen ihre Schokoladentafeln.
»Ihr beide seid also Zwillinge«, sagt Vicki.
Sie betrachtet uns kopfschüttelnd und stopft sich eine Praline in den Mund. Seit ihrem Krankenhausaufenthalt ist ihr Schokoladenkonsum signifikant angestiegen. Ich vermute, Lila ist nicht ganz unschuldig daran. Wahrscheinlich hat sie ihr schlechtes Gewissen mit dem Kauf von sündhaft teuren Pralinenkästen beruhigt.
Vickis Verletzungen sind gut geheilt. Nur ein paar dunkle Blutergüsse am Haaransatz und verkrustete Abschürfungen an der Schläfe geben ihr ein etwas abenteuerliches Aussehen.
»Und eure Eltern haben euch das echt all die Jahre nicht gesagt?«, fragt sie und tippt sich an die Stirn. »Ich habe schon immer geahnt, dass die nicht alle Tassen im Schrank haben.«
»Vicki!« Lila und ich rufen es wie aus einem Mund.
»Ja, Entschuldigung, ganz so schlimm ist es vielleicht nicht. Aber fast.«
»Und sonst haben sie nichts gesagt?«
»Doch«, antwortet Lila und seufzt. »Sie haben alles zugegeben. Mama, also …, jetzt ist es ja meine Tante Susanne, hat so herzzerreißend geweint … Ich habe mir gewünscht, wir hätten das alles nie erfahren. Es war doch immer so schön in unserer Familie.«
Sie sieht aus, als würde sie selbst gleich losheulen. Vicki hält ihr die Pralinen hin.
»Danke«, schnieft meine Schwester.
Jetzt sind es schon zwei, die Schokolade in sich hineinstopfen.
»Aber du kannst nichts dafür«, sagt sie an mich gewandt. »Ich bin dir nicht böse, nicht mehr jedenfalls.«
Ich kann seit Tagen kaum etwas essen. Mein Mund fühlt sich trocken an und in meinem Hals sitzt ein dicker Kloß. Ich bin so sauer auf meine Eltern und andererseits fehlen sie mir. Ich weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist. Die arme Lila wirkt so zerbrechlich wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen ist. Und genaugenommen ist sie das ja auch. Und der böse Nestschubser bin ich. Ohne Frage. Vicki guckt uns beide mitleidig an.
»Das ist kompliziert und ich verstehe,
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