Glückskekssommer: Roman (German Edition)
Visitenkarte! In ihrem Laden hängt meine Mode, liegen meine Skizzen, die Schnittmuster, die ganze Arbeit der letzten Wochen.
Helena Senner hat mich erpresst, ausgenutzt und zu guter Letzt rausgeschmissen. Ich dachte, ich mache mich unentbehrlich, wenn ich alles tue, was sie sagt. Aber in der Chefin habe ich einmal mehr meinen Meister gefunden! Sie wollte nicht mich, sondern meine Ideen. Und die hat sie jetzt.
Ich fühle mich wie ein Wurm, der durch den Rinnstein kriecht, durch den das Abwasser fließt.
»Du wirst nicht kündigen«, sage ich und falle Lila um den Hals. »Du bist die Bessere von uns beiden und deshalb hast du die Arbeitsstelle verdient, nicht ich.«
Ich schiebe sie zurück ins Atelier und bitte sie, am Abend meine Sachen mitzubringen. Nie, niemals wieder werde ich einen Fuß über Helena Senners Schwelle setzen!
Da war doch dieser Glückskeksspruch neulich … Und wieder hat er recht behalten.
Ich hatte viel Glück. Ich habe Schwierigkeiten überwunden.
Was er mir verschwiegen hat, ist, dass danach wieder neue und größere Probleme auf mich warten.
Ich kann Glückskekse noch immer nicht ausstehen! Sie sind so was von heimtückisch!
Glückskeks 3
Jemand gibt Ihnen Rätsel auf!
Na toll! Mit zitternden Händen habe ich den Glückskeks aufgebrochen. Wieder so ein komischer Spruch. Wie wäre es mit: ›Heute wird alles gut!‹ Oder: ›Sie können Ihr Glück kaum fassen!‹
Ich will keine Rätsel lösen, sondern eine neue Arbeitsstelle. Aber genau da liegt das Problem (oder Rätsel?). Kaum habe ich eine Bewerbung abgeschickt, ist sie zwei Tage später wieder im Postkasten.
»Ich glaube, die lesen sie nicht mal«, seufze ich. »Die tüten meine Mappe nur um und schicken sie zurück.«
Lila tröstet mich. »Das liegt an der wirtschaftlichen Lage, nicht an dir.«
Wenn sie nur recht hat. Ich glaube eher, dass es an Helena Senner liegt, die mich bei jeder Schneiderei in der Stadt als böse Hexe hingestellt hat, die hinterrücks Nähte auftrennt, um die Existenz der eigenen Chefin zu vernichten.
»Vielleicht sollte ich mich einfach persönlich vorstellen?«, denke ich laut. »Ich glaube, wenn die erst sehen, wie nett ich bin, wird mich schon jemand einstellen.«
Lila, die schon auf dem Sprung zur Arbeit ist, schüttelt den Kopf. »Dann fühlen die sich überfallen. Würde ich nicht machen.«
Sie hat gut reden. Schließlich muss sie nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen, das Telefon anstarren und auf den Briefträger lauern. Das Leben ist so sinnlos, wenn man morgens nicht aus dem Haus gehen und arbeiten kann. Sogar meine zahlreichen Studiensemester haben mir mehr Spaß gemacht als das hier.
Immerhin habe ich jetzt viel Zeit für mein Hobby. Ich habe mir vor einiger Zeit angewöhnt, alles, was ich gern nähen würde, aufzumalen. Im Laufe der letzten drei Jahre ist eine stattliche Sammlung meiner kunterbunten Modeträume zusammengekommen. Ich hebe die Zeichnungen alle auf. Vielleicht kann ich sie in ferner Zukunft einmal gebrauchen, wenn ich meinen Meisterbrief und eine eigene Werkstatt habe und machen kann, was ich will. Zukunftsmusik! Im Moment wäre ich ja schon glücklich, wenn ich mal wieder Reißverschlüsse einnähen dürfte.
Es ist prächtiges Sommerwetter. Eigentlich könnte ich im Tiergarten oder einem anderen der tausend Berliner Parks sitzen, mich von der Sonne bescheinen und von Grillduft umwehen lassen. Ich habe ein Skizzenbüchlein und Stifte in meiner Handtasche. Warum nicht draußen zeichnen? Es ist doch eigentlich schön, mal ein paar Wochen freizuhaben! Leider nein. Wie ich es auch drehe und wende – ich kann diesen Zwangsurlaub einfach nicht genießen. Ich bin eine frisch ausgebildete Schneiderin und will arbeiten gehen und Geld verdienen!
Also hocke ich zu Hause und warte darauf, dass mich der Briefträger oder der Anruf einer Schneidermeisterin von der Qual erlöst. Meine Eltern, die sich neuerdings beinahe jeden Tag melden, um zu hören, was es Neues gibt, sind mir auch keine große Hilfe.
»Warum musstest du auch ein Abendkleid nähen?«, fragt meine Mutter in einem Ton, als hätte ich etwas absolut Unanständiges getan. »Viel zu extravagant. Guck dir Lila an, die hat ein schönes, kleines Sommerkleid gemacht und nun hat sie eine Arbeit. Du willst immer zu hoch hinaus.«
Ich sage nicht viel dazu. Wie es im Moment aussieht, hat sie ja sogar recht. Lilas Sommerkleid ist wirklich wunderschön geworden.
Wir haben zusammen gegrübelt und
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