Glückskekssommer: Roman (German Edition)
sowieso nicht mehr durchhalten. Ich habe schon zwei Kilo abgenommen.
*
Als der große Tag endlich gekommen ist, zittern mir die Hände. Heute bekommen wir unsere Zeugnisse und die Lehrzeit ist zu Ende. Wir sind jetzt Schneiderinnen. Fast!
Lila sieht blass aus, als sie mir den Frühstückskaffee ans Bett bringt. Ich fühle mich so, wie sie aussieht.
Helena Senner hat kein Wort mehr über meine Zeugnisse gesagt. Aber die Kleider, die ich genäht und im Laden ausgehängt habe, sind innerhalb von drei Tagen verkauft worden. Ich habe keine Ahnung, wie viel sie damit eingenommen hat. Aber ihr zufriedenes Gesicht sprach Bände. Es war wie ein Wunder: Seitdem der Name ihrer Werkstatt in der Zeitung gestanden hat, strömten die Kunden haufenweise in den Laden. Scheinbar wollten alle unbedingt die Schneiderin kennenlernen, die Eva Andrees’ Kleid verpfuscht hatte.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Aber die Chefin rieb sich die Hände.
»Besser schlechte Schlagzeilen als gar keine«, lachte sie.
Während sie sich im neuen Ruhm sonnte, zeichnete ich noch mehr Kleider und fertigte dazu die entsprechenden Schnittmuster an. Davon konnte die Meisterin gar nicht genug kriegen. Meine Überstunden konnte ich nicht mehr zählen. Aber mit jeden Tag, da war ich sicher, machte ich mich ein kleines bisschen unentbehrlicher.
Die Bluse für Eva Andrees lieferte ich wie verabredet. Ich hatte sie in weißes Seidenpapier eingeschlagen und es vorsichtig mit kleinen Stecknadeln verschlossen. An einer hübschen Kordel hing die neue Karte meiner Chefin (tatsächlich ›Helena von Senner – Modeatelier Star‹), zusammen mit einer kleinen getrockneten rosa Rose, die ganz zart duftete. Sie sollte meine ›Visitenkarte‹ sein, wenn schon wie üblich mein Name nirgendwo geschrieben stand.
Einen Kaffee mit dem Concierge habe ich wieder abgelehnt. Ich musste schnell zur Arbeit zurück. Er hat ziemlich enttäuscht geguckt.
Aber die Bluse lag nun in Eva Andrees’ Wohnung. Ich war glücklich!
Jetzt musste die Chefin mir mein Zeugnis geben.
Schweigend fahren Lila und ich zur Arbeit, schlüpfen in unsere Arbeitsklamotten und flüchten hinter die Nähmaschinen, ohne uns auch nur in die Augen zu sehen. Egal, wie es heute läuft, werden wir keinen Grund zum Feiern haben. Wenn Helena Senner mich einstellt, wird Lila arbeitslos, und umgekehrt. Ich schwöre mir, dass ich mich ab sofort wieder mehr um meine Freundin kümmern werde. Die letzten Wochen haben uns beiden nicht gutgetan.
»Rosa! Lila! Zur Chefin kommen«, ruft Nora quer durch die Werkstatt, kaum dass wir die ersten Stiche genäht haben.
Da baut sich Annemarie vor mir auf. »Ich hoffe, sie stellt Lila ein«, zischt sie mir fast unhörbar zu.
Als ich ihre feindselig zusammengekniffenen Augen sehe, läuft mir ein Schauer den Rücken herunter. Aber dennoch bin ich ziemlich sicher, dass Annemarie dieser Wunsch heute nicht erfüllt wird. Die Meisterin kann mich gar nicht feuern – jetzt, da sie gerade die Früchte erntet, die ich gesät habe. Annemarie muss sich also mit mir arrangieren, ob sie will oder nicht.
»Das werden wir ja sehen«, fauche ich selbstbewusst zurück.
»Komm, Rosa«, sagt Lila.
Sie fasst meine Hand und zusammen schreiten wir wie zwei Schulmädchen, die etwas ausgefressen haben, zu Frau Senner ins Büro.
»Wetten, sie nimmt Rosa«, höre ich Nora seufzen. »So wie die sich eingekratzt hat in den letzten Tagen.«
»Sie ist wie Unkraut«, ätzt Annemarie. »Man wird sie einfach nicht los.«
Okay, das wird nicht leicht mit den beiden. Ich seufze. Wenigstens ist Jola nett.
Fünf Minuten später bin ich gefeuert!
Die Chefin hat sich bei mir bedankt (»Du hast alles getan, um deinen Fehler wieder gutzumachen.«). Dann drückte sie mir mein Zeugnis in die Hand und beglückwünschte Lila zu ihrem sicheren Arbeitsplatz.
Mir ist übel. Ich wanke erschüttert aus der Werkstatt. Die anderen starren mir wortlos hinterher.
»Rosa, warte!« Lila kommt mir nachgelaufen. »Es tut mir leid. Ich muss die Stelle nicht nehmen, wenn du nicht willst. Wir suchen uns beide etwas Neues, ja?«
Sie wäre bereit, für mich zu kündigen! Das gibt mir den Rest. Ich schäme mich so, denn ich war so blöd zu ihr in den letzten Wochen. Mir strömen die Tränen der Verzweiflung aus den Augen, als mir das Ausmaß der Enttäuschung bewusst wird. Ich wollte alles und jetzt habe ich nichts. Die schönste Bluse der Welt liegt bei Eva Andrees – zusammen mit Helena Senners
Weitere Kostenlose Bücher