Glückskekssommer: Roman (German Edition)
brauchte. Wie durch Zauberhand! Sollte ich mich nicht schutzsuchend in seine starken Arme stürzen?
Ich stehe am Türspalt und beobachte ihn. Seine Locken gefallen mir. Der Hauch von einem Dreitagebart auf seinem Kinn sieht lässig aus. Er hat schöne, gepflegte Hände. Aber starke Arme? Fehlanzeige. Basti ist zwar groß, aber, wie Oma sagen würde, nur ein ›halbes Hemd‹.
Ich reiße meinen Blick von ihm los. Er ist so ganz anders als Rob. Ich muss jetzt gehen.
Es ist besser, wenn ich niemandem mehr zur Last falle und mein Leben selbst in die Hand nehme. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das gehen soll.
Ich bin kein Mädchen mehr.
Glückskeks 6
Eine neue Erfahrung wird zu einer wertvollen Erinnerung.
»Aufwachen, Rosa, du musst zur Arbeit!«
Ich trau mich nicht, die Augen aufzumachen, denn so im Halbschlaf bin ich noch desorientiert und weiß gerade mal wieder nicht, wo ich bin. Es klingt weder nach einem Brückenbogen, noch nach der Bahnhofsmission (da wird man bestimmt nicht so nett geweckt), sondern so, als wäre es Oma, die mich ruft. Außerdem riecht es nach Räucherstäbchen. Eigentlich bin ich fast sicher, dass ich bei meiner Großmutter auf der Couch liege. Aber weiß man es? Bei meinem neuerdings aus den Fugen geratenen Dasein scheint alles möglich. Im Moment traue ich meinen eigenen Wahrnehmungen nicht. Ich finde, dazu habe ich auch allen Grund. Immerhin ist in den letzten Wochen nichts, aber auch gar nichts so gelaufen, wie ich es geplant habe.
»Kindchen, deine neue Arbeitgeberin bekommt einen schlechten Eindruck, wenn du jetzt nicht aufstehst und dich fertig machst.«
Die Stimme gehört eindeutig meiner Oma. Ich öffne ein Auge. Tatsächlich, sie ist es. Erleichtert lächle ich sie an. »Kannst du mir Kaffee bringen?«
»Wie bitte?« Oma öffnet die Vorhänge und das Fenster. Frische Luft strömt ins Zimmer.
»… ob du mir bitte einen Kaffee mit drei Löffeln Zucker bringen kannst?«, sage ich etwas lauter.
Sie steht neben mir und schaut mich belustigt an. »Meine Ohren sind völlig in Ordnung. Ich habe verstanden, was du gesagt hast – rein akustisch jedenfalls.«
»Das ist schön«, sage ich und strecke mich.
»So und jetzt hopp«, sagt Oma und klatscht in die Hände. »Der Kaffee steht in der Küche. Die Zuckerdose auch.«
Jetzt verstehe ich. Sie will mir den Kaffee nicht bringen. Meine Laune verschlechtert sich rapide. »Lila hat mir meinen Kaffee immer ans Bett gebracht«, maule ich.
Oma lacht herzhaft. »Sie braucht immer jemanden zum Bemuttern, die Kleine«, sagt sie lächelnd. »Wenn ich mal gebrechlich werde, dann hole ich mir die Lila zu Hilfe. Eine fürsorglichere Pflege kann ich bestimmt nicht kriegen.«
Jetzt stemmt sie die Hände in die Hüften und guckt mich streng an. »Du aber bist jung und gesund und du willst mir erzählen, dass du dir jeden Morgen etwas zu trinken ans Bett bringen lässt?«
»Na ja«, druckse ich herum. »Lila hat das total gern gemacht.«
»Na, wenn das so ist, frage ich mich, warum du das luxuriöse ›Hotel Lila‹ verlassen und mitten in der Nacht bei mir angeklopft hast?«
Ich fühle einen heftigen Stich in meinem Herz. Nein, ich habe ›Hotel Lila‹ gar nicht verlassen. Ich wurde rausgeschmissen – wegen nicht bezahlter Rechnungen einerseits, wegen Eigenbedarfs und betrügerischer Machenschaften andererseits. Mit einem Schlag wird mir wieder bewusst, dass es aus ist zwischen mir und meiner besten Freundin. Sie wird mir nie im Leben wieder irgendetwas ans Bett bringen. Meine Augen füllen sich mit Tränen.
»Du wirst doch jetzt nicht weinen, weil …«
»Nein, nein«, unterbreche ich Oma und ziehe die Nase hoch. »Es ist nicht wegen des blöden Kaffees. Ich weine, weil …, weil ich so furchtbar traurig bin, weil ich arm, ausgesetzt und verlassen bin.« Mein Selbstmitleid kennt keine Grenzen.
»So, jetzt aber raus mit der Sprache«, fordert Oma. »Ich will wissen, was passiert ist und zwar alles.«
Ein paar Minuten später weiß sie Bescheid und verspricht, mal ein ernstes Wort mit ihrer anderen Enkelin zu reden. (Sie ist die Mutter von Thorsten und Thomas, unseren Vätern.) Ich hoffe, sie wäscht ihr mal so richtig den Kopf. Das hat Lila nämlich verdient. Meine Trauer schlägt mal wieder um in Wut. Ich schwimme im Wechselbad der Gefühle.
Nach dem Duschen stelle ich entsetzt fest, dass ich keine frischen Sachen dabei habe. Wo zur Hölle sind eigentlich meine Koffer geblieben? Dann fällt es mir wieder ein. Mein
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