Glückskekssommer: Roman (German Edition)
dich!«
»Ich habe ihn für dich aufgemacht«, antwortet Oma und ignoriert mein Geschrei. »Der nächste ist für mich.«
Es ist passiert. Alles kommt, wie es kommen muss. Dornröschen hat sich trotz allem an der Spindel gestochen, und ich habe meinen nächsten Glückskeksspruch im Nacken. Nun ist es auch egal.
*
Mit hängenden Schultern latsche ich aus der U-Bahn zur Arbeit. (Na gut. Das ist übertrieben. Ich trage immer hochhackige Schuhe. Damit kann man nicht latschen. Aber die Schultern hängen. Das ist wahr! Und Omas Seidenunterhose fühlt sich ungewohnt an, wenn auch nicht mal schlecht.)
»So, heute geht es los«, begrüßt mich Frau Sonnemann strahlend und ignoriert meinen Hundeblick. »Ich habe einen Haufen Arbeit für dich.«
Das mit dem Haufen meint sie wörtlich. Neben meiner Nähmaschine, die am frisch verschönten Fenster steht, türmt sich ein Berg Hosen.
»Die musst du enger machen für den Karl Kasulke«, fügt sie noch hinzu. »Der ist so schmal geworden nach seiner Krebserkrankung. Ich habe ihm versprochen, dass du die Sachen nachher gleich vorbeibringst.«
»Mache ich. Klar doch.«
Wenn ich nähe, vergesse ich meine Sorgen. Das ist fast so gut wie Schokolade.
Mit den Hosen gebe ich mir viel Mühe. Ich muss immerzu an meinen Opa denken. Er ist vor acht Jahren an Krebs gestorben. Es war eine schwere Zeit für uns alle. Der Herr Kasulke soll richtig gute Hosen kriegen.
Die Passanten starren neugierig ins Ladeninnere. Ein paar Mal klopft es an die Scheibe und jemand drückt sich die Nase platt und winkt. Nach dem fünften Mal erschrecke ich nicht mehr, sondern winke zurück. Margret stürmt immer entzückt nach draußen und hält einen Schwatz mit dem Neugierigen.
»Rosi, die neue Scheibe ist fantastisch«, schwärmt sie, nachdem sie zum x-ten Mal an der frischen Luft war. »Das hätte ich schon viel eher machen sollen.«
Ich gönne ihr das Vergnügen. Schließlich hat sie mich ja eingestellt, damit sie ein wenig kürzer treten kann. Wenn sie nur nicht jedes Mal eine Zigarette rauchen würde, wenn sie raus geht! Mittags, als ich fast fertig bin, klopft es wieder. Mechanisch hebe ich meine Hand und winke. Frau Sonnemann steht auf und geht nach draußen. Aber als sie die Tür öffnet, ist ihr Blick ratlos.
»Guten Tag! Sie wünschen?«
Die Stimme, die freundlich zurückgrüßt, kenne ich. Es ist Oma. Ich springe freudig auf. So eine schöne Überraschung!
»Frau Sonnemann, das ist meine Großmutter, Luisa Redlich. Oma, das ist Margret Sonnemann, meine Meisterin.«
Die beiden schütteln sich die Hände. Wenn ich mich nicht sehr täusche, sind sie sich gleich sympathisch.
»Sonnemann und Redlich«, sagt meine Oma lachend zu Margret. »Das ist ein toller Firmenname. Wenn Sie einen Laden so nennen, können Sie alles verkaufen.«
Die beiden lachen. Ich zweifle zwar an Omas Theorie. Es sei denn der Laden hieße ›Sunnyman and Honest‹ oder so ähnlich. Englisch geht heutzutage einfach besser. Aber ich finde es gut, dass sie mich nicht brauchen, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Herrn Kasulkes Hosen warten. Während ich nähe, schwatzen die beiden, als ob sie sich schon zehn Jahre kennen.
Ich bin beschäftigt, fange nur gelegentlich ein paar Wortfetzen auf. Taj Mahal, Freiheitsstatue, Krüger Nationalpark … Die beiden quasseln sich quer über den Erdball. Irgendwann kapiere ich, dass sie über die Bilder reden, die sorgsam gerahmt, an den Wänden der Werkstatt hängen. Aha! Jetzt höre ich doch etwas genauer hin. Dann wird mir klar, dass es nicht irgendwelche Bilder sind, sondern Fotos von Margrets Reisen, die sie an die entferntesten Plätze der Welt geführt haben.
Jetzt bin ich aber wirklich neugierig. Ich nehme mir einen Stuhl, steige hinauf und tatsächlich – auf dem Foto aus Indien ist meine Meisterin zu sehen, einige Jahre jünger zwar, aber eindeutig sie – mit Rucksack, Sonnenbrille und aufgekrempelten Jeans.
Wer hätte das gedacht? Margret Sonnemann ist eine waschechte Globetrotterin.
Ich weiß noch, wie ich bei unserer ersten Begegnung dachte, dass sie den Wedding bestimmt noch keinen Tag verlassen hat. Die großen, gerahmten Bilder habe ich für Seiten aus einem Kalender gehalten, die sie sich zu Dekorationszwecken an die Wand gepinnt hat.
Ich schäme mich ein bisschen, weil ich sie so völlig falsch eingeschätzt habe. Man sollte einen Menschen nicht nur nach dem beurteilen, was man sieht. Binsenweisheit eigentlich. Leider vergisst man sie viel zu
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