Glückskekssommer: Roman (German Edition)
ganzer Kram ist noch bei Sebastian Andrees, und ich Idiot habe keine Ahnung, wo er wohnt.
Ich bin, nachdem ich mich aus seiner Wohnung geschlichen habe, ins erstbeste Taxi gehüpft und habe mich hierher nach Lichterfelde bringen lassen. Es war eine ziemlich lange Fahrt quer durch Berlin und irgendwann sind wir auch am Alex vorbeigekommen. Der Fernsehturm ist nun wirklich nicht zu übersehen. Doch mehr weiß ich nicht … nur noch, dass ich mein letztes Geld für die Fahrt hinblättern musste.
Ich habe meinen gesamten Besitz bei einem fremden Mann stehen lassen. Auch wenn es nur mickrige drei Koffer sind. Es ist alles, was ich habe. Was ist bloß in mich gefahren? Ein so irres Verhalten ist nur mit meinem akuten Schock zu erklären.
Herzlichen Glückwunsch, Rosa! Du hast es geschafft. Dein Leben ist weg. Bis auf das, was du am Leibe trägst, ist dir nichts geblieben.
Plötzlich kann ich mir vorstellen, wie sich die Flüchtlinge am Ende des Krieges gefühlt haben. Oma ist aus Ostpreußen. Sie ist mit ihrer Mutter und nur einem Koffer damals durch halb Europa gelaufen. Natürlich weiß ich, dass der Vergleich idiotisch ist, aber irgendwie heimatlos fühle ich mich auch gerade.
Oma hat, während ich unter der Dusche war, Brötchen geholt und den Tisch gedeckt.
»Hast du nix zum Anziehen?«, fragt sie, als ich, in ein großes Handtuch gewickelt, zu ihr an den Tisch komme.
»Nein«, antworte ich wahrheitsgemäß.
Ich trage seit zwei Tagen Vickis indisches Kleid, das unterdessen schon ziemlich zerknittert ist. In der Werkstatt habe ich noch Jeans und T-Shirt zum Wechseln. Das würde für heute gehen. Aber nie im Leben ziehe ich eine Unterhose zweimal hintereinander an.
»Ich borg dir was«, sagt Oma. »Aber ich will’s wiederhaben. Gewaschen! Ja?«
Sie guckt wieder so streng. Dann lacht sie. »Du bist ein Chaot, meine Kleine. Das komplette Gegenteil von Lila. Man sollte nicht glauben, dass ihr Schwestern seid.«
»Sind wir ja auch nicht, Oma. Wir sind Cousinen, schon vergessen?«
»Was habe ich denn gesagt?«, fragt Oma und schneidet fahrig an ihrem Brötchen herum.
»Schwestern«, antworte ich lachend. »Du hast Schwestern gesagt.«
»Ich werde langsam alt«, sagt sie. Sie sieht auf einmal ganz unglücklich aus.
»Ach Omi«, lache ich und nehme ihre Hand. »Du doch nicht. Man kann sich doch mal versprechen.«
Sie springt auf und stürmt (ja wirklich!) in ihre kleine Vorratskammer. Als sie wieder zum Vorschein kommt, bin ich es, die erschüttert ist. Sie hat ein Paket Glückskekse in der Hand. »Lass uns ein bisschen Spaß haben, Kind!«
Was für einen Spaß denn bitte? Wenn ich jetzt einen Glückskeks öffne, ist heute Abend der Rest meines Lebens auch noch weg. Und da ich nur noch meine Anziehsachen habe, werde ich zwangsläufig nackt sein. »Oma, wenn ich so ein Ding esse, dann kriegst du deine Unterhose nicht wieder. Überleg es dir also.«
»Wie bitte?«, hakt sie verwundert nach, während sie mit einer Schere die noch verschlossene Packung öffnet. »Was hast du gesagt?«
Klar, dass sie mich nicht versteht. Ich verstehe es ja auch nicht! Wer hätte gedacht, dass diese Kekse so gemeingefährliche kleine Dinger sind. »Ach nichts. Ich … Ich vertrage nur keine Glückskekse mehr. Ich … ähm … Ich kriege Bauchschmerzen davon.«
»Unsinn, doch nicht von so einem kleinen Krümel«, sagt sie.
Dann wirft sie einen misstrauischen Blick auf mein Quark-Honig-Mandel-Rosinen-Vollkornbrötchen. Ich brauche meine Anti-Kummer-Süß-Dosis. Was kann ich dafür, dass sie keine Schokolade hat, sondern nur so gesundes Zeug?
»Rosa, du verputzt gerade meine sämtlichen Kuchenzutaten. Willst du vielleicht noch ein bisschen Backpulver obendrauf?«
Ich schüttle den Kopf und beobachte ängstlich, wie sie zwei Kekse aus der Packung nimmt. Sie reißt die kleine Plastikhülle des ersten auf und zerbricht das Gebäck. Dann nimmt sie ihre Lesebrille vom Küchenschrank und liest. »So, wollen wir mal gucken.«
Ich spüle ein paar Rosinen mit Milchkaffee herunter und schnappe mir noch ein frisches, knuspriges Brötchen. Ob ich mal Camembert mit Orangenmarmelade probieren soll? Das könnte schmecken.
»Eine neue Erfahrung wird zu einer wertvollen Erinnerung« , liest Oma laut.
»Das klingt doch gut, mein Kind. Im Moment machst du viele neue Erfahrungen. Das ist auch richtig so in deinem Alter.«
»Das war mein Spruch?«, schreie ich hysterisch. »Aber du hast ihn doch vorgelesen. Er ist für
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