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Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Titel: Glückskekssommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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oft. Ich nehme mir fest vor, ab sofort immer zweimal hinzugucken, bevor ich über jemanden urteile. Die Leute scheinen oft nicht das zu sein, was sie vorgeben. Das beste Beispiel ist Lila, mit ihrem verletzlichen Engelsgesicht, die mich eiskalt entsorgt hat. Wie Eddi, ihren Kuschelhasen aus Kindertagen, den sie eines Tages plötzlich nicht mehr ausstehen konnte und der sein Ende in einer Mülltonne fand. Schnell verdränge ich den Gedanken an sie, denn ich habe sofort wieder einen dicken Kloß im Hals. Ich will jetzt vor Frau Sonnemann nicht heulen.
    Ein Rundgang durch ihre Bilderwelt lenkt mich einigermaßen ab. Ich bin beeindruckt. Ja, wer von uns beiden ist nun niemals herumgekommen? Meine Meisterin oder ich?
    Außer zirka 15 Wohnwagenurlauben in Limone am Gardasee (meine Eltern sind ziemliche Traditionalisten) habe ich erschreckend wenig von der Welt gesehen.
    Margret Sonnemann jedenfalls scheint jedes Land der Erde besucht zu haben. Beim letzten Bild bleibe ich verwundert stehen. Es ist weiß. »Was ist das, Frau Sonnemann?«, frage ich. »Die Antarktis?«
    Die beiden Damen stehen auch gerade vor dem leeren Rahmen.
    »Na, was soll da noch rein?«, fragt Oma interessiert.
    »Ach, nichts«, sagt Frau Sonnemann und wendet sich ab. »Der bleibt leer.«
    »Bestimmt nicht«, sagen Oma und ich gleichzeitig.
    Margret lächelt. Aber es sieht traurig aus. Irgendetwas bedrückt sie. Ob es wegen ihrer Krankheit ist?
    »Jetzt spucken Sie’s schon aus«, drängelt Oma.
    Frau Sonnemann zuckt die Schultern. »Die Mauer«, sagt sie schlicht.
    Na, da hat sie’s ja nicht weit. Hier im Wedding steht noch ein Stück. Ich kann es ihr zeigen.
    »Das ist unglaublich«, ruft Oma ganz außer sich. »Genau davon träume ich auch.«
    Hä? Ich brauche noch einen Moment länger, bis ich kapiere, dass sie die chinesische Mauer meinen. Mann oh Mann, in Punkto geistige Beweglichkeit machen mir die beiden älteren Ladies locker etwas vor.
    Und schon haben sie ihr nächstes Thema gefunden. Ich bin überflüssig, denn von Fernost habe ich nun mal einfach keine Ahnung. Nur kurz unterbreche ich die Unterhaltung, um zu fragen, wo Herr Kasulke wohnt. Ich habe seine Hosen fertig und will sie ihm, wie versprochen, gleich bringen. Er wohnt in der nächsten Querstraße. Ich verabschiede mich und sause los.
    Als ich zurückkomme, ist der Laden leer. Ein Zettel liegt auf meinem Nähtisch:
    ›Sind bei den Jungs. Komm doch nach. Vicki ist auch da.
    Sonnemann und Redlich‹
     
    Vicki schon wieder? Zum ersten Mal frage ich mich, was sie eigentlich für eine Arbeit hat. Anscheinend hat sie immer und zu jeder Tageszeit Muße, ins ›Schraders‹ zu gehen. Vielleicht ist sie ja arbeitslos? Aber sie wirkt überhaupt kein bisschen unglücklich. Außerdem trägt sie Markenklamotten, eine Designerbrille und fährt einen nagelneuen Mini. Also arm ist sie definitiv nicht.
    Ich habe keine Lust rüberzugehen. Da sind bestimmt haufenweise vergnügte Leute. Und die stören mich. Es ist schon mühsam genug, den Tag zu überstehen, ohne laufend in Tränen auszubrechen. Lieber werde ich Frau Sonnemann noch etwas Arbeit abnehmen. So wie die Sache aussieht, kommt sie dank der neugestalteten Fensterscheibe kaum noch zum Nähen.
     
    Bei Herrn Kasulke war es richtig nett. Er bestand darauf, mir einen Tee aufzubrühen. Ich konnte nicht ablehnen, denn ich habe eine Schwäche für alte Menschen mit ihren runzligen Gesichtern und ihren weisen Augen, die schon so viel gesehen haben. Wir saßen eine Stunde beim grünen Tee, der mir gut geschmeckt hat, obwohl ich eigentlich eine Kaffeetante bin. Ich bewunderte die stattliche Büchersammlung des alten Herren. Seine zwei Siamkatzen schnurrten um meine Beine und ließen sich von mir kraulen. Nebenbei futterte ich eine Packung Schokoladenkekse leer (Endlich! Richtige Süßigkeiten!) und erfuhr, dass er lange in Kriegsgefangenschaft gewesen war und danach als Journalist und Dolmetscher die halbe Welt bereist hat.
     
    Sag ich doch. Alte Leute sind so was von interessant.
    Jetzt bin ich allein und niemand lenkt mich mit interessantem Geplauder von meinen Problemen ab. Sollte ich doch ins ›Schraders‹ gehen? Nein, das bringt mich nicht weiter. Ich muss vielmehr darüber nachdenken, was in Zukunft aus mir werden soll. Prompt fließen doch wieder ein paar Tränen.
    Lieber Himmel! Heute ist ja gar nichts mehr, wie es gestern war! Gestern lebte ich noch mit Lila in einer süßen Zweizimmerwohnung mit Balkon im beschaulichen Mariendorf. Heute

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