Glückskekssommer: Roman (German Edition)
mache, beginne ich langsam zu begreifen, dass ich jetzt für eine Weile in einem 200-Quadratmeter-Palast leben werde. So eine riesige Wohnung habe ich noch nie gesehen!
Ich bin auf dem Land in einer Doppelhaushälfte mit großem Garten aufgewachsen. Obwohl die Grundfläche auch nicht gerade bescheiden ist, wirkt bei meinen Eltern alles klein und verwinkelt, mit tiefen Decken, kleinen Fenstern – mit Kaffeehausgardinen dran und Alpenveilchen drin – und jeder Menge schrägen Wänden mit Holzverkleidung – typisch 70er-Jahre eben. Mit Lila teilte ich mir eine Wohnung in einem 50er-Jahre-Bau – nicht gerade groß, aber dafür im vierten Stock und schön hell.
Gestern Abend war ich atemlos vor Staunen. Niemals vorher hatte ich so einen prächtigen Gründerzeitbau betreten, wie Vicki ihn bewohnt. Ich hatte keine Ahnung, dass man sich wie in einem Schloss fühlt, wenn die Decken 3,80 Meter hoch sind und prächtige, verschnörkelte Stuckornamente daran kleben. Der dunkle Parkettboden knarzte so aristokratisch, dass ich mich automatisch nach diesen großen Museumsüberziehschlappen umschaute, um mit meinen spitzen Absätzen ja keine Kratzer auf dem edlen Holz zu hinterlassen.
Vicki bewohnt ihre Sechszimmerwohnung ganz allein.
Jeder einzelne Raum ist geschmackvoll und gemütlich eingerichtet.
Ich darf in ihrem Gästezimmer wohnen. Obwohl kein einziges Möbelstück mir gehört, fühle ich mich dort schon wie zu Hause. Was sicherlich an dem breiten Himmelbett liegt, das mitten im Raum thront – aus schwarzem Metall und mit strahlend weißer Wäsche bezogen. Ein schöner heller Kleiderschrank steht an der Wand. Es gibt einen altertümlichen Schminktisch mit geschwungenen Beinen und einem samtbezogenem Hocker davor, der genau solche Schnörkelfüße hat. Ein moderner Sessel mit Fußschemel und eine große geschwungene Leselampe bilden einen spannenden Kontrast dazu. Am gardinenlosen Fenster steht ein stattlicher Benjamin im Tontopf und auf dem Fußboden sorgt ein dicker roter Teppich für warme Füße. Das Zimmer ist so groß wie Lilas ganze Wohnung. Ich fürchte, dass ich aus diesem Paradies gar nicht mehr ausziehen möchte.
Wenn ich das große Fenster öffne, gucke ich auf einen Kastanienbaum, in dem die Vögel zwitschern.
Wie bei Basti.
Aber Sebastian Andrees ist Geschichte. Ich habe es ja so gewollt.
Meine Sachen sortiere ich ordentlich in den Schrank und trage dann meine Koffer in die Abstellkammer. Danach bin ich erschöpft. Schließlich habe ich auch schon die Küche nach dem Frühstück aufgeräumt. Mein Körper verlangt nach einem Schläfchen im weichen Himmelbett.
Ich erwache, als es leise an die Tür klopft. »Herein«, rufe ich und merke, dass ich mich jetzt ganz erfrischt fühle.
Vicki, die einen schwarzen Haus-Samtoverall trägt und ihr schweres Haar mal hochgesteckt hat, setzt sich zu mir ans Bett.
»Na, Schlafmütze«, sagt sie und grinst. »Wollen wir was unternehmen?«
»Ja, gern«, antworte ich. »Wie wäre es mit einer Führung durch dein Schloss inklusive einer ausführlichen Berichterstattung über die Person, die es bewohnt.«
»Komische Unternehmung.« Vicki runzelt die Stirn.
»Mal ohne Quatsch jetzt«, sage ich. »Wie kommst du zu so einem Palast, Vicki?«
»Das ist eine lange Geschichte und nicht leicht zu erzählen … Äh… Um es kurz zu machen: Ich habe sie geerbt, von meinem Onkel, der vor ein paar Jahren gestorben ist, nicht ganz arm war und keine Kinder hatte.«
»Cool!«
Etwas zögerlich lässt Vicki sich auf meine Bitte ein und präsentiert mir ausführlich jedes einzelne Zimmer. Bis auf die Bibliothek (Es ist wahr. Sie hat wirklich eine eigene Bibliothek! ), die so finster aussieht wie in einem Harry-Potter-Film (zum Glück fliegen keine Eulen herum), ist die Wohnung mit einem frischen Mix aus alten und neuen Möbeln bestückt. Die Küche ist supermodern eingerichtet, dafür ist eines der zwei Bäder noch im Originalzustand mit wunderschönen alten Fliesen und einer Badewanne auf Löwenfüßen. Ich beschließe, darin mal ein richtiges Schaumbad zu nehmen.
Plötzlich wird mir heiß vor Schreck. »Vicki?«
Sie zeigt mir gerade die Porträts ihrer Vorfahren im Flur. Die gucken alle so was von grimmig auf mich herab, dass mir angst und bange wird. Bestimmt sind die sauer auf mich, weil ich Vicki früher so oft geärgert habe. Durch diesen Flur werde ich niemals im Dunkeln gehen! Wer weiß, sonst steigt noch eine weiße Frau aus einem der Bilder und hält mich
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